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ICF Version 2005

Einführung

1. Hintergrund

Dieser Band enthält die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, abgekürzt ICF1. Allgemeines Ziel der ICF-Klassifikation ist, in einheitlicher und standardisierter Form eine Sprache und einen Rahmen zur Beschreibung von Gesundheits- und mit Gesundheit zusammenhängenden Zuständen zur Verfügung zu stellen. Sie definiert Komponenten von Gesundheit und einige mit Gesundheit zusammenhängende Komponenten von Wohlbefinden (wie Erziehung/Bildung und Arbeit). Deshalb können die in der ICF enthaltenen Domänen als Gesundheitsdomänen und mit Gesundheit zusammenhängende Domänen betrachtet werden. Diese Domänen werden unter den Gesichtpunkten des Körpers, des Individuums und der Gesellschaft in zwei Hauptlisten beschrieben: (1) Körperfunktionen und Körperstrukturen sowie (2) Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe].2 Als Klassifikation gruppiert die ICF systematisch unterschiedliche Domänen3 für einen Menschen mit einem bestimmten Gesundheitsproblem (z.B. was ein Mensch mit einer Krankheit oder einer Gesundheitsstörung tatsächlich tut oder tun kann). Funktionsfähigkeit ist ein Oberbegriff, der alle Körperfunktionen und Aktivitäten sowie Partizipation [Teilhabe] umfasst; entsprechend dient Behinderung als Oberbegriff für Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivität und Beeinträchtigung der Partizipation [Teilhabe]. Die ICF listet darüber hinaus Umweltfaktoren auf, die mit den genannten Konstrukten in Wechselwirkung stehen. Auf diese Weise wird es dem Benutzer ermöglicht, nützliche Profile der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit eines Menschen für unterschiedliche Domänen darzustellen.

Die ICF gehört zu der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelten "Familie" von Klassifikationen für die Anwendung auf verschiedene Aspekte der Gesundheit. Die WHO-Familie der Internationalen Klassifikationen stellt einen Rahmen zur Kodierung eines breiten Spektrums von Informationen zur Gesundheit zur Verfügung (z.B. Diagnosen, Funktionsfähigkeit und Behinderung, Gründe für die Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung) und verwendet eine standardisierte allgemeine Sprache, welche die weltweite Kommunikation über Gesundheit und gesundheitliche Versorgung in verschiedenen Disziplinen und Wissenschaften ermöglicht.

Gesundheitsprobleme (Krankheiten, Gesundheitsstörungen, Verletzungen usw.) werden innerhalb der Internationalen Klassifikationen der WHO hauptsächlich in der ICD-10 (Kurzbezeichnung für die Internationale Klassifikation der Krankheiten, 10. Revision) klassifiziert4, die einen ätiologischen Rahmen liefert. Funktionsfähigkeit und Behinderung, verbunden mit einem Gesundheitsproblem, sind in der ICF klassifiziert. Deshalb ergänzen die ICD-10 und die ICF einander5, und Anwender sind aufgerufen, beide Klassifikationen der WHO-Familie der Internationalen Klassifikationen gemeinsam zu verwenden. Die ICD-10 stellt eine "Diagnose" von Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder anderen Gesundheitszuständen zur Verfügung, und diese Information wird mit zusätzlichen Informationen zur Funktionsfähigkeit, welche die ICF liefert, erweitert.6 Informationen über Diagnosen (ICD-10) in Verbindung mit Informationen über die Funktionsfähigkeit (ICF) liefern ein breiteres und angemesseneres Bild über die Gesundheit von Menschen oder Populationen, welches zu Zwecken der Entscheidungsfindung herangezogen werden kann.

Die Familie der Internationalen Klassifikationen der WHO ist ein nützliches Instrument für die Beschreibung und den Vergleich der Gesundheit von Bevölkerungen im internationalen Kontext. Informationen über Mortalität (anhand der ICD-10) und über gesundheitliche Auswirkungen (mittels der ICF) können summarisch zu einem Maß der Gesundheit der Bevölkerung zusammengefasst werden, um in Bezug auf die Bevölkerung die Gesundheit und deren Verteilung zu überwachen und um die Anteile der verschiedenen Ursachen von Mortalität und Morbidität zu beurteilen.

Die ICF hat sich fortentwickelt von einer Klassifikation der "Krankheitsfolgen" (wie die ICIDH von 1980) hin zu einer Klassifikation der "Komponenten der Gesundheit". "Komponenten der Gesundheit" kennzeichnen Bestandteile der Gesundheit, während "Folgen" den Blick auf die Auswirkungen von Krankheiten oder anderen Gesundheitsproblemen lenken, welche aus diesen als Ergebnis folgen können. Insofern nimmt die ICF bezüglich der Ätiologie eine unabhängige Position ein, sodass Forscher mit Hilfe geeigneter wissenschaftlicher Methoden kausale Schlüsse ziehen können. Darüber hinaus unterscheidet sich dieses Konzept auch von den Modellen der "Determinanten der Gesundheit" oder der "Risikofaktoren". Um jedoch das Studium der Determinanten oder Risikofaktoren zu erleichtern, enthält die ICF eine Liste von Umweltfaktoren, die den Lebenshintergrund von Menschen beschreiben.

2. Ziele der ICF

Die ICF wurde als Mehrzweckklassifikation für verschiedene Disziplinen und Anwendungsbereiche entwickelt. Ihre spezifischen Ziele können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Sie liefert eine wissenschaftliche Grundlage für das Verstehen und das Studium des Gesundheitszustands und der mit Gesundheit zusammenhängenden Zustände, der Ergebnisse und der Determinanten;
  • Sie stellt eine gemeinsame Sprache für die Beschreibung des Gesundheitszustands und der mit Gesundheit zusammenhängenden Zustände zur Verfügung, um die Kommunikation zwischen verschiedenen Benutzern, wie Fachleuten im Gesundheitswesen, Forschern, Politikern und der Öffentlichkeit, einschließlich Menschen mit Behinderungen, zu verbessern;
  • Sie ermöglicht Datenvergleiche zwischen Ländern, Disziplinen im Gesundheitswesen, Gesundheitsdiensten sowie im Zeitverlauf;
  • Sie stellt ein systematisches Verschlüsselungssystem für Gesundheitsinformationssysteme bereit.

Diese Ziele stehen miteinander in Beziehung, zumal der Bedarf an und die Anwendung der ICF die Entwicklung eines sinnvollen und praktikablen Systems erfordert, das von unterschiedlichen Anwendern auf den Gebieten der Gesundheitspolitik, Qualitätssicherung und Ergebnisevaluation in unterschiedlichen Kulturen genutzt werden kann.

2.1 Anwendungen der ICF

Seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1980 als Versuchsversion wurde die ICIDH zu verschiedenen Zwecken verwendet, z.B.:

  • als statistisches Instrument - für die Erhebung und Dokumentation von Daten (z.B. in Bevölkerungsstudien und Erhebungen oder in Managementinformationssystemen);
  • als Forschungsinstrument - für die Messung von Ergebnissen, Lebensqualität oder Umweltfaktoren;
  • als Instrument in der gesundheitlichen Versorgung - für die Beurteilung des Bedarfs, die Anpassung von Behandlungen an spezifische Bedingungen, die berufsbezogene Beurteilung, die Rehabilitation und die Ergebnisevaluation;
  • als sozialpolitisches Instrument - für die Planung der sozialen Sicherheit, für Entschädigungssysteme sowie für die Politikgestaltung und -umsetzung;
  • als pädagogisches Instrument - für die Curriculumentwicklung, die Schaffung von Problembewusstsein und als Anstoß für soziales Handeln.

Die ICF ist an sich eine Gesundheits- und mit Gesundheit zusammenhängende Klassifikation, sie wird aber auch innerhalb anderer Gebiete angewendet, wie z.B. auf den Gebieten des Versicherungswesens, der sozialen Sicherheit, Arbeit, Erziehung/Bildung, Wirtschaft, Sozialpolitik und der Fortentwicklung der Gesetzgebung sowie der Umweltveränderung. Sie wurde als eine der sozialen Klassifikationen der Vereinten Nationen anerkannt. Die ICF bezieht sich auf und enthält die Rahmenbestimmungen für die Herstellung von Chancengleichheit von Personen mit Behinderungen.7 Daher stellt die ICF ein geeignetes Instrument für die Umsetzung internationaler Aufträge bezüglich der erklärten Menschenrechte und für die nationale Gesetzgebung zur Verfügung.

Die ICF ist nützlich für ein breites Spektrum unterschiedlicher Anwendungen, wie z.B. im System der sozialen Sicherheit, bei der Evaluation von Managed Health Care (gesteuerte Gesundheitsversorgung) und in Erhebungen von Bevölkerungsdaten auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Sie bietet einen konzeptionellen Rahmen für Informationen, die auf die Gesundheitsversorgung des Einzelnen anwendbar sind, einschließlich Prävention und Gesundheitsförderung sowie für die Verbesserung der Partizipation [Teilhabe] durch die Beseitigung oder Verringerung von gesellschaftsbedingten Hindernissen sowie durch Schaffung oder Verbesserung der sozialen Unterstützung und anderer, die Teilnahme oder Partizipation [Teilhabe] in Lebensbereichen fördernder, unterstützender oder erleichternder Faktoren. Sie ist darüber hinaus für die Untersuchung von Gesundheitsversorgungssystemen bezüglich Evaluation und der Formulierung von Richtlinien und Empfehlungen nützlich.

3. Eigenschaften der ICF

Eine Klassifikation sollte deutlich machen, was sie klassifiziert: Geltungsbereich, Anwendungsbereich, ihre Klassifikationseinheiten sowie ihren Aufbau, und wie diese Elemente hinsichtlich ihrer Beziehung zueinander strukturiert sind. In den folgenden Abschnitten werden diese grundlegenden Eigenschaften der ICF erklärt.

3.1 Geltungsbereich der ICF

Die ICF umfasst alle Aspekte der menschlichen Gesundheit und einige gesundheitsrelevante Komponenten des Wohlbefindens und beschreibt diese in Form von Gesundheitsdomänen und mit Gesundheit zusammenhängenden Domänen.8 Die Klassifikation bleibt im Kontext der Gesundheit und deckt keine Umstände ab, die nicht mit der Gesundheit im Zusammenhang stehen, wie solche, die von sozioökonomischen Faktoren verursacht werden. Zum Beispiel können Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder anderer sozioökonomischer Sachverhalte in der Ausführung von Aufgaben in ihrer gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt beeinträchtigt werden, aber dies sind keine mit der Gesundheit im Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Partizipation [Teilhabe] im Sinne der ICF.

Es gibt ein weit verbreitetes Missverständnis, die ICF gelte nur für Menschen mit Behinderungen; tatsächlich kann sie jedoch auf alle Menschen bezogen werden. Mit Hilfe der ICF können der Gesundheitszustand und die mit Gesundheit zusammenhängenden Zustände in Verbindung mit jedem Gesundheitsproblem beschrieben werden. Mit anderen Worten, die ICF ist universell anwendbar.9

3.2 Anwendungsbereich der ICF

Die ICF liefert eine Beschreibung von Situationen bezüglich menschlicher Funktionsfähigkeit und ihrer Beeinträchtigungen und dient als Organisationsrahmen dieser Informationen. Sie strukturiert diese Informationen auf sinnvolle und leicht zugängliche Art, die auch die gegenseitigen Beziehungen berücksichtigt.

In der ICF werden Informationen in zwei Teile gegliedert. Der eine Teil befasst sich mit Funktionsfähigkeit und Behinderung, während der andere Teil die Kontextfaktoren umfasst. Jeder Teil hat zwei Komponenten:

1. Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung

Die Komponente des Körpers besteht aus zwei Klassifikationen, eine für die Funktionen von Körpersystemen und eine für die Körperstrukturen. Die Kapitel beider Klassifikationen sind nach Körpersystemen aufgebaut.Die Komponente der Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] umfasst die gesamte Bandbreite von Domänen, die Aspekte der Funktionsfähigkeit aus individueller und gesellschaftlicher Perspektive beschreiben.

2. Komponenten der Kontextfaktoren

Die erste Komponente der Kontextfaktoren ist eine Liste der Umweltfaktoren. Die Umweltfaktoren haben Einfluss auf alle Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung und sind in der Reihenfolge von der für den Menschen nächsten Umwelt bis zur allgemeinen Umwelt angeordnet.

Personbezogene Faktoren sind ebenfalls eine Komponente der Kontextfaktoren. Sie sind jedoch wegen der mit ihnen einhergehenden großen soziokulturellen Unterschiedlichkeit nicht in der ICF klassifiziert.

Die Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung in Teil 1 der ICF können in zweifacher Weise betrachtet werden. Zum einen können sie verwendet werden, um Probleme aufzuzeigen (z.B. Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivität oder Beeinträchtigung der Partizipation [Teilhabe], zusammengefasst unter dem Oberbegriff Behinderung). Zum anderen können sie verwendet werden, um nicht-problematische (z.B. neutrale) Aspekte des Gesundheitszustands und der mit Gesundheit zusammenhängenden Zustände aufzuzeigen (zusammengefasst unter dem Oberbegriff Funktionsfähigkeit).

Diese Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung werden mit Hilfe von vier verschiedenen, aber miteinander in Beziehung stehenden Konstrukten interpretiert. Diese Konstrukte werden mit Beurteilungsmerkmalen operationalisiert. Körperfunktionen und strukturen können im Sinne von Veränderungen in physiologischen Systemen oder anatomischen Strukturen interpretiert werden. Für die Komponente der Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] stehen zwei Konstrukte zur Verfügung: Leistungsfähigkeit und Leistung, siehe Abschnitt 4.2. Die Funktionsfähigkeit und Behinderung eines Menschen wird als eine dynamische Interaktion10 zwischen dem Gesundheitsproblem (Krankheiten, Gesundheitsstörungen, Verletzungen, Traumen usw.) und den Kontextfaktoren aufgefasst. Wie oben dargestellt, umfassen die Kontextfaktoren die personbezogenen und die Umweltfaktoren. Die ICF enthält als eine wesentliche Komponente der Klassifikation eine umfassende Liste der Umweltfaktoren. Umweltfaktoren stehen in Wechselwirkung mit allen Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung. Das grundlegende Konstrukt der Komponente der Umweltfaktoren bezieht sich auf den fördernden oder beeinträchtigenden Einfluss von Merkmalen der materiellen, sozialen und einstellungsbezogenen Welt.

3.3 Einheiten der Klassifikation

Die ICF klassifiziert den Gesundheitszustand und mit Gesundheit zusammenhängende Zustände. Daher sind die Einheiten der Klassifikation die Kategorien innerhalb der Gesundheits- und mit Gesundheit zusammenhängenden Domänen. Es ist deshalb wichtig anzumerken, dass in der ICF die Einheiten der Klassifikation keine Personen sind. Das bedeutet, die ICF klassifiziert nicht Personen, sondern sie beschreibt die Situation einer jeden Person mittels Gesundheits- oder mit Gesundheit zusammenhängenden Domänen. Darüber hinaus erfolgt die Beschreibung immer im Zusammenhang mit den Umwelt- und personbezogenen Faktoren.

3.4 Präsentation der ICF

Die ICF wird in zwei Versionen vorgelegt, um den Bedürfnissen der verschiedenen Anwender nach einem unterschiedlichen Detaillierungsgrad entgegenzukommen.

Die Vollversion der ICF, die in diesem Band enthalten ist, umfasst die Klassifikation bis zu vier Detaillierungsebenen. Diese vier Ebenen können zu einem höhergradigen Klassifikationssystem zusammengefasst werden, das alle Domänen bis zur zweiten Ebene enthält. Das Zweiebenensystem ist auch als Kurzversion der ICF erhältlich.

4. Überblick über die Komponenten der ICF

Definitionen11

Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologische Funktionen).

Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers, wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile.

Schädigungen sind Beeinträchtigungen einer Körperfunktion oder -struktur, wie z.B. eine wesentliche Abweichung oder ein Verlust.

Eine Aktivität bezeichnet die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung (Aktion) durch einen Menschen.

Partizipation [Teilhabe] ist das Einbezogensein in eine Lebenssituation.

Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die ein Mensch bei der Durchführung einer Aktivität haben kann.

Beeinträchtigungen der Partizipation [Teilhabe] sind Probleme, die ein Mensch beim Einbezogensein in eine Lebenssituation erlebt.

Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt ab, in der Menschen leben und ihr Dasein entfalten.

Einen Überblick über diese Konzepte gibt Tabelle 1. Auf die Operationalisierung der Konzepte wird im Abschnitt 5.1 eingegangen. Tabelle 1 lässt Folgendes erkennen:

  • Die ICF hat zwei Teile mit je zwei Komponenten
    • Teil 1: Funktionsfähigkeit und Behinderung
      1. Körperfunktionen und -strukturen
      2. Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe]
      Teil 2: Kontextfaktoren
      1. Umweltfaktoren
      2. Personbezogene Faktoren
  • Jede Komponente kann in positiven oder negativen Begriffen ausgedrückt werden.
  • Jede Komponente besteht aus verschiedenen Domänen und, innerhalb jeder Domäne, aus Kategorien, welche die Einheiten der Klassifikation bilden. Der Gesundheits- und mit Gesundheit zusammenhängende Zustand eines Menschen kann durch Auswahl des oder der geeigneten Kodes der Kategorien dokumentiert werden, ergänzt durch Beurteilungsmerkmale, die numerische Kodes beinhalten und das Ausmaß oder die Größe der Funktionsfähigkeit oder Behinderung in der Kategorie spezifizieren, oder das Ausmaß angeben, in welchem die Umweltfaktoren fördernd oder beeinträchtigend wirken.
Tabelle 1: Überblick über die ICF
ElementeTeil 1: Funktionsfähigkeit und BehinderungTeil 2: Kontextfaktoren
KomponentenKörperfunktionen und -strukturenAktivitäten und Partizipation [Teilhabe]Umweltfaktorenpersonbezogene Faktoren
DomänenKörperfunktionen, KörperstrukturenLebensbereiche (Aufgaben, Handlungen)Äußere Einflüsse auf Funktionsfähigkeit und BehinderungInnere Einflüsse auf Funktionsfähigkeit und Behinderung
KonstrukteVeränderung in Körperfunktionen (physiologisch)
Veränderung in Körperstrukturen (anatomisch)
Leistungsfähigkeit (Durchführung von Aufgaben in einer standardisierten Umwelt)
Leistung (Durchführung von Aufgaben in der gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt)
fördernde oder beeinträchtigende Einflüsse von Merkmalen der materiellen, sozialen und einstellungsbezogenen WeltEinflüsse von Merkmalen der Person
positiver AspektFunktionale und strukturelle Integrität

(Funktionsfähigkeit)
Aktivitäten
Partizipation [Teilhabe]

(Funktionsfähigkeit)
positiv wirkende Faktorennicht anwendbar
negativer AspektSchädigung




(Behinderung)
Beeinträchtigung der Aktivität
Beeinträchtigung der Partizipation [Teilhabe]

(Behinderung)
negativ wirkende Faktoren (Barrieren, Hindernisse)nicht anwendbar

4.1 Körperfunktionen und -strukturen sowie Schädigungen

Definitionen:

Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologische Funktionen).

Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers, wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile.

Eine Schädigung ist eine Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder -struktur, wie z.B. eine wesentliche Abweichung oder ein Verlust.

  1. Körperfunktionen und Körperstrukturen sind in zwei verschiedenen Sektionen klassifiziert. Beide Klassifikationen sind für den parallelen Gebrauch entworfen. Körperfunktionen z.B. umfassen die elementaren menschlichen Sinne wie "Sehfunktionen". Ihre strukturellen Korrelate sind "Das Auge und mit ihm in Zusammenhang stehende Strukturen".
  2. Der Begriff "Körper" bezieht sich auf den menschlichen Organismus als Ganzes. Daher umfasst er auch das Gehirn und seine Funktionen, z.B. den Verstand. Aus diesem Grund werden mentale (geistige und seelische) Funktionen unter "Körperfunktionen" subsumiert.
  3. Gliederungskriterium für Körperfunktionen und -strukturen sind Körpersysteme. Entsprechend werden Körperstrukturen nicht als Organe betrachtet. 12
  4. Schädigungen der Struktur können eine Anomalie, ein Defekt, Verlust oder eine andere we-sentliche Abweichung der Körperstruktur sein. Schädigungen wurden konzeptionell in Über-einstimmung mit biologischen Erkenntnissen auf den Ebenen von Gewebe oder Zellen und auf subzellulärer oder molekularer Ebene entwickelt. Diese Ebenen werden jedoch aus praktischen Gründen hier nicht aufgeführt.13 Die Klassifikation orientiert sich an den biologischen Grundlagen von Schädigungen, und es könnte Raum für eine Erweiterung der Klassifikation auf zellulärer oder molekularer Ebene geschaffen werden. Für medizinische Anwender sei angemerkt, dass Schädigungen nicht das gleiche sind wie die zugrunde liegende Pathologie, sondern eine Manifestation dieser Pathologie darstellen.
  5. Schädigungen stellen eine Abweichung von gewissen, allgemein anerkannten Standards bezüglich des biomedizinischen Zustands des Körpers und seiner Funktionen dar. Die Definitionen ihrer Bestandteile obliegt in erster Linie Fachleuten, die dazu qualifiziert sind, die physische und mentale Funktionsfähigkeit bezüglich dieser Standards zu beurteilen.
  6. Schädigungen können vorübergehend oder dauerhaft, progressiv, regressiv oder statisch sein, intermittierend oder kontinuierlich. Die Abweichung von der Populationsnorm kann geringfügig oder schwerwiegend und zeitlichen Schwankungen unterworfen sein. Diese Charakteristika werden in weiteren Beschreibungen erfasst, vor allem mit den Kodes der Beurteilungsmerkmale nach dem Dezimalpunkt.
  7. Schädigungen werden hier unabhängig von ihrer Ätiologie und Entwicklung betrachtet. So kann z.B. der Verlust des Sehvermögens oder der Verlust einer Extremität von einer genetischen Anomalie oder einer Verletzung herrühren. Das Vorhandensein einer Schädigung impliziert zwar notwendigerweise eine Ursache. Die Ursache braucht jedoch nicht hinreichend für die Erklärung der entstandenen Schädigung zu sein. Darüber hinaus besteht eine Dysfunktion von Körperfunktionen oder -strukturen, wenn eine Schädigung vorliegt, aber diese kann auch im Zusammenhang mit irgendeiner anderen Krankheit, Gesundheitsstörung oder einem anderen physiologischen Zustand auftreten.
  8. Schädigungen können Teil oder Ausdruck eines Gesundheitsproblems sein, aber sie weisen nicht notwendigerweise darauf hin, dass eine Krankheit vorliegt oder dass die betroffene Person als krank angesehen werden sollte.
  9. Der Begriff der Schädigung ist weiter gefasst als der der Gesundheitsstörung oder Krankheit. Daher ist z.B. der Verlust eines Beines eine Schädigung der Körperstruktur, aber im strengen Sinn keine Gesundheitsstörung oder Krankheit.
  10. Schädigungen können andere Schädigungen nach sich ziehen. So kann z.B. ein Mangel an Muskelkraft die Bewegungsfunktionen beeinträchtigen, Herzfunktionen können im Zusammenhang mit Defiziten der Atmungsfunktionen stehen und ein beeinträchtigtes Wahrnehmungsvermögen kann mit Denkfunktionen zusammenhängen.
  11. Einige Kategorien der Komponente der Körperfunktionen und -strukturen scheinen sich mit Kategorien der ICD-10 zu überschneiden, besonders im Hinblick auf "Symptome und Befunde". Dennoch sind die Ziele beider Klassifikationen unterschiedlich. Die ICD-10 klassifiziert Symptome in speziellen Kapiteln, um Morbidität und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zu dokumentieren. Die ICF weist sie hingegen als Teil der Körperfunktionen aus, der im Zusammenhang mit Prävention oder der Feststellung des Behandlungsbedarfs der Patienten genutzt werden kann. Am wichtigsten ist, dass die Klassifikationen der Körperfunktionen und -strukturen der ICF dafür vorgesehen sind, zusammen mit den Kategorien der Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] benutzt zu werden.
  12. Schädigungen werden in entsprechenden Kategorien klassifiziert, wobei definierte Bestimmungskriterien verwendet werden (z.B. in Form von "vorhanden" oder "nicht vorhanden" hinsichtlich eines Grenzwertes). Diese Kriterien sind für Körperfunktionen und strukturen gleich. Sie sind: (a) Verlust oder Fehlen, (b) Minderung, (c) zusätzlich oder im Übermaß vorhanden oder (d) Abweichung. Sobald eine Schädigung vorhanden ist, kann sie hinsichtlich ihres Schweregrades mit dem allgemeinen Beurteilungsmerkmal der ICF eingestuft werden.
  13. Umweltfaktoren stehen in Wechselwirkung mit den Körperfunktionen, vergleichbar den Wechselwirkungen zwischen Luftqualität und Atmen, zwischen Licht und Sehen, Geräuschen und Hören, ablenkenden Reizen und Aufmerksamkeit, Bodenbeschaffenheit und Körperbalance sowie Umgebungstemperatur und Körpertemperaturregulierung.

4.2 Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] sowie Beeinträchtigungen der Aktivität und der Partizipation [Teilhabe]

Definitionen:

Eine Aktivität ist die Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung (Aktion) durch einen Menschen.

Partizipation [Teilhabe] ist das Einbezogensein in eine Lebenssituation.

Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die ein Mensch haben kann, die Aktivität durchzuführen.

Eine Beeinträchtigung der Partizipation [Teilhabe] ist ein Problem, das ein Mensch im Hinblick auf sein Einbezogensein in Lebenssituationen erleben kann.

  1. Die Domänen für die Komponente der Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] sind in einer einzigen Liste enthalten, die alle Lebensbereiche umfasst (von elementarem Lernen oder Zuschauen bis zu komplexen Bereichen wie interpersonelle Interaktionen oder Beschäftigung). Die Komponente kann verwendet werden, um Aktivitäten (a) oder Partizipation [Teilhabe] (p) oder beides zu bezeichnen. Die Domänen dieser Komponente werden näher bestimmt durch das Beurteilungsmerkmal für Leistung und das für Leistungsfähigkeit (Kapazität). Daher liefern die Informationen aus der Liste eine Datenmatrix, die weder Überlappungen noch Redundanzen aufweist (vgl. Tabelle 2).

  2. Tabelle 2: Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe]: Informationsmatrix
    Domänen Qalifikatoren
    LeistungLeistungsfähigkeit
    d1 Lernen und Wissensanwendungunbesetztunbesetzt
    d2 Allgemeine Aufgaben und Anforderungenunbesetztunbesetzt
    d3 Kommunikationunbesetztunbesetzt
    d4 Mobilitätunbesetztunbesetzt
    d5 Selbstversorgungunbesetztunbesetzt
    d6 Häusliches Lebenunbesetztunbesetzt
    d7 Interpersonelle Interaktionen und Beziehungenunbesetztunbesetzt
    d8 Bedeutende Lebensbereiche unbesetztunbesetzt
    d9 Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Lebenunbesetztunbesetzt
  3. Das Beurteilungsmerkmal für Leistung beschreibt, was ein Mensch in seiner gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt tut. Weil die übliche Umwelt seinen sozialen Kontext umfasst, kann unter Leistung auch das "Einbezogensein in eine Lebenssituation" oder die "gelebte Erfahrung" von Menschen in ihrem üblichen Kontext, in welchem sie leben, verstanden werden.14 Dieser Kontext umfasst die Umweltfaktoren – alle Aspekte der materiellen, sozialen und einstellungsbezogenen Welt, die mit der Komponente der Umweltfaktoren kodiert werden können.
  4. Das Beurteilungsmerkmal der Leistungsfähigkeit oder der Kapazität beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, eine Aufgabe oder eine Handlung durchzuführen. Dieses Konstrukt zielt darauf ab, das höchstmögliche Niveau der Funktionsfähigkeit, das ein Mensch in einer bestimmten Domäne zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen kann, zu beschreiben. Um den vollen Umfang der Fähigkeit des Menschen zu beurteilen, benötigte man eine "standardisierte" Umwelt, um die verschiedenen Einflüsse der jeweils unterschiedlichen Umwelt auf die Fähigkeit des Menschen zu neutralisieren. Solch eine standardisierte Umwelt kann sein: (a) eine für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Rahmen von Tests üblicherweise verwendete Versuchsanordnung (Testumwelt); oder (b) sofern dies nicht möglich ist, eine fiktive Umwelt, von der angenommen werden kann, dass sie einen einheitlichen Einfluss ausübt. Diese Art der Umwelt kann "einheitliche" oder "Standard-"Umwelt genannt werden. Somit spiegelt die Leistungsfähigkeit die umweltadjustierte Fähigkeit des Menschen wider. Diese Adjustierung muss für alle Menschen und Länder dieselbe sein, um internationale Vergleiche zu ermöglichen. Die Merkmale der einheitlichen oder Standardumwelt können mit der Klassifikation der Umweltfaktoren kodiert werden. Der Unterschied zwischen Leistungsfähigkeit und Leistung spiegelt die Unterschiede zwischen den Auswirkungen der üblichen und der einheitlichen Umwelt wider, und liefert daher einen nützlichen Anhaltspunkt dafür, was in der Umwelt des Menschen getan werden kann, um die Leistung zu verbessern.
  5. Die Beurteilungsmerkmale der Leistungsfähigkeit und Leistung können darüber hinaus sowohl unter Berücksichtigung von Hilfsmitteln oder personeller Assistenz als auch ohne deren Berücksichtigung verwendet werden. Zwar können weder Hilfsmittel noch personelle Assistenz Schädigungen eliminieren, sie können aber Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit in bestimmten Domänen beseitigen. Diese Art der Kodierung ist besonders nützlich, um festzustellen, wie stark die Funktionsfähigkeit des Menschen ohne Hilfsmittel eingeschränkt wäre (siehe Kodierungsleitlinien des Anhangs 2).
  6. Schwierigkeiten oder Probleme in diesen Domänen können auftreten, wenn es qualitative oder quantitative Abweichungen in der Weise gibt, in der ein Mensch diese Domänenfunktionen ausführt. Beeinträchtigungen der Aktivität oder Partizipation [Teilhabe] werden vor dem Hintergrund allgemein akzeptierter Bevölkerungsstandards beurteilt. Der Standard oder die Norm, mit der die Leistungsfähigkeit und Leistung einer Person verglichen wird, ist die eines Menschen ohne ein vergleichbares Gesundheitsproblem (Krankheit, Gesundheitsstörung oder Verletzung usw.). Die Einschränkung oder Beeinträchtigung dokumentiert den Gegensatz zwischen der beobachteten und der erwarteten Leistung. Die erwartete Leistung ist die Bevölkerungsnorm, welche die Erfahrung von Menschen ohne dieses besondere Gesundheitsproblem repräsentiert. Dieselbe Norm wird beim Beurteilungsmerkmal der Leistungsfähigkeit verwendet, sodass abgeleitet werden kann, was in der Umwelt des Menschen getan werden kann, um dessen Leistung zu verbessern.
  7. Ein Leistungsproblem kann sich unmittelbar durch die soziale Umwelt ergeben, selbst dann, wenn die Person keine Schädigung aufweist. Zum Beispiel braucht eine HIV-positive Person ohne jedes Symptom oder eine Krankheit oder eine Person mit einer genetischen Prädisposition für eine gewisse Krankheit keine Schädigung aufzuweisen, oder sie kann über eine hinreichende arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit verfügen; dennoch kann es sein, dass sie infolge des verweigerten Zugangs zu Diensten, infolge von Diskriminierung oder Stigmatisierung nicht arbeitet.
  8. Es ist schwierig, zwischen "Aktivitäten" und "Partizipation [Teilhabe]" auf der Grundlage der Domänen der Aktivitäten- und Partizipationskomponente zu unterscheiden. Auch war es auf Grund der internationalen Abweichungen und Unterschiede in den Konzepten der Fachleute sowie der theoretischen Grundannahmen nicht möglich, auf der Grundlage der Domänen zwischen "individueller" und "gesellschaftlicher" Perspektive zu differenzieren. Aus diesem Grund stellt die ICF eine einzige Liste zur Verfügung, die von Anwendern benutzt werden kann, um zwischen Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] nach eigenen operationalen Regeln zu differenzieren, sofern dies gewünscht wird. Dies wird weiter in Anhang 3 erklärt. Es gibt vier mögliche Wege, dies zu tun:
    1. Einige Domänen werden als Aktivitäten und andere als Partizipation [Teilhabe] bezeichnet, wobei keinerlei Überlappungen zugelassen sind;
    2. das gleiche wie unter (a), jedoch sind teilweise Überlappungen zugelassen;
    3. alle detaillierten Domänen werden als Aktivitäten bezeichnet und die allgemeinen Überschriften der Kategorien als Partizipation [Teilhabe];
    4. alle Domänen können sowohl als Aktivitäten als auch als Partizipation [Teilhabe] verwendet werden.

4.3 Kontextfaktoren

Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund eines Menschen dar. Sie umfassen zwei Komponenten: Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren. Diese können einen Einfluss auf den Menschen mit einem Gesundheitsproblem, auf dessen Gesundheits- und gesundheitsbezogenen Zustand haben.

Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten. Diese Faktoren liegen außerhalb des Individuums und können seine Leistung als Mitglied der Gesellschaft, seine Leistungsfähigkeit zur Durchführung von Aufgaben bzw. Handlungen oder seine Körperfunktionen und -strukturen positiv oder negativ beeinflussen.

  1. Die Einteilung der Umweltfaktoren in der Klassifikation bezieht sich auf zwei verschiedene Ebenen:
    1. Ebene des Individuums: Hierunter fällt die unmittelbare, persönliche Umwelt eines Menschen einschließlich häuslicher Bereich, Arbeitsplatz und Schule. Diese Ebene umfasst auch die physikalischen und materiellen Gegebenheiten der Umwelt, denen sich eine Person gegenübersieht, sowie den persönlichen Kontakt zu anderen wie zu Familie, Bekannten, Seinesgleichen (Peers) und Fremden.
    2. Ebene der Gesellschaft: Hierunter fallen die formellen und informellen sozialen Strukturen, Dienste und übergreifenden Ansätze oder Systeme in der Gemeinschaft oder Gesellschaft, die einen Einfluss auf Individuen haben. Dieser Aspekt umfasst (1) Organisationen und Dienste bezüglich der Arbeitsumwelt, kommunalen Aktivitäten, Behörden und des Kommunikations- und Verkehrswesens sowie informelle soziale Netzwerke und (2) Gesetze, Vorschriften, formelle und informelle Regeln, Einstellungen und Weltanschauungen.
  2. Umweltfaktoren stehen in Wechselwirkung mit den Komponenten der Körperfunktionen und strukturen sowie der Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe]. Art und Umfang dieser Wechselwirkung kann für jede Komponente in zukünftiger wissenschaftlicher Forschung erarbeitet werden. Behinderung ist gekennzeichnet als das Ergebnis oder die Folge einer komplexen Beziehung zwischen dem Gesundheitsproblem eines Menschen und seinen personbezogenen Faktoren einerseits und den externen Faktoren, welche die Umstände repräsentieren, unter denen das Individuum lebt, andererseits. Wegen dieser Beziehungen können verschiedene Umweltkonstellationen sehr unterschiedliche Einflüsse auf denselben Menschen mit einem Gesundheitsproblem haben. Eine Umwelt mit Barrieren oder ohne Förderfaktoren wird die Leistung eines Menschen einschränken; andere Umweltbedingungen, die fördernd wirken, können die Leistung verbessern. Die Gesellschaft kann die Leistung eines Menschen beeinträchtigen, weil sie entweder Barrieren schafft (z.B. unzugängliche Gebäude) oder keine Förderfaktoren bereitstellt (z.B. Unverfügbarkeit von Hilfsmitteln).

Personbezogene Faktoren sind der spezielle Hintergrund des Lebens und der Lebensführung eines Menschen und umfassen Gegebenheiten des Menschen, die nicht Teil ihres Gesundheitsproblems oder -zustands sind. Diese Faktoren können Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter, andere Gesundheitsprobleme, Fitness, Lebensstil, Gewohnheiten, Erziehung, Bewältigungsstile, sozialer Hintergrund, Bildung und Ausbildung, Beruf sowie vergangene oder gegenwärtige Erfahrungen (vergangene oder gegenwärtige Ereignisse), allgemeine Verhaltensmuster und Charakter, individuelles psychisches Leistungsvermögen und andere Merkmale umfassen, die in ihrer Gesamtheit oder einzeln bei Behinderung auf jeder Ebene eine Rolle spielen können. Personbezogene Faktoren sind nicht in der ICF klassifiziert. Sie sind jedoch in Abbildung 1 mit aufgenommen, um ihren Beitrag zu zeigen, der einen Einfluss auf die Ergebnisse der verschiedenen Interventionen haben kann.

5. Modell der Funktionsfähigkeit und Behinderung

5.1 Der Prozess der Funktionsfähigkeit und Behinderung

Als Klassifikation modelliert die ICF nicht den "Prozess" der Funktionsfähigkeit und Behinderung. Sie kann jedoch zu dessen Beschreibung benutzt werden, indem sie das Instrument bereitstellt, die verschiedenen Konstrukte und Domänen abzubilden. Die ICF liefert einen mehrperspektivischen Zugang zu Funktionsfähigkeit und Behinderung im Sinne eines interaktiven und sich entwickelnden Prozesses. Sie stellt die Bausteine für Anwender zur Verfügung, die Modelle entwickeln und verschiedene Aspekte dieses Prozesses untersuchen möchten. In diesem Sinn kann die ICF als Sprache betrachtet werden: Die Aussagen, die mit ihr formuliert werden können, hängen von den Anwendern, ihrer Kreativität und ihrer wissenschaftlichen Orientierung ab. Um das gegenwärtige Verständnis der Interaktionen zwischen den verschiedenen Komponenten der ICF leichter erfassbar zu machen, kann Abbildung 1 dienen.15

Abbildung 1: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF

Die Abbildung beschreibt die Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF. Die Aktivitäten stehen im Zentrum. Um sie sind im Uhrzeigersinn beginnend auf 12 Uhr das Gesundheitsproblem, Partizipation, umwelt- und personbezogene Faktoren sowie die Körperfunktionen und -–strukturen angeordnet. Alle Komponenten sind durch bidirektionale Pfeile verbunden. Weitere Erläuterungen im Folgetext.

In Abbildung 1 ist die Funktionsfähigkeit eines Menschen in einer spezifischen Domäne als eine Wechselwirkung oder komplexe Beziehung zwischen Gesundheitsproblem und Kontextfaktoren (d. h. Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren) dargestellt. Es besteht eine dynamische Wechselwirkung zwischen diesen Größen: Interventionen bezüglich einer Größe können eine oder mehrere der anderen Größen verändern. Diese Wechselwirkungen sind spezifisch, stehen aber nicht immer in einem vorhersagbaren Eins-zu-Eins-Zusammenhang. Die Wechselwirkungen wirken in zwei Richtungen: Eine bestehende Behinderung kann sogar das Gesundheitsproblem selbst verändern. Es kann oft vernünftig erscheinen, eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit aus einer oder mehreren Schädigungen oder eine Einschränkung der Leistung aus einer oder mehreren Einschränkungen der Leistungsfähigkeit abzuleiten. Es ist jedoch wichtig, Daten über diese Konstrukte unabhängig voneinander zu erheben und anschließend Zusammenhänge und kausale Verknüpfungen zwischen ihnen zu untersuchen. Soll der gesamte funktionale Gesundheitszustand beschrieben werden, sind alle Komponenten nützlich. Es können zum Beispiel folgende Fälle vorliegen:

  • Eine Schädigung ohne Einschränkung der Leistungsfähigkeit (z.B. braucht eine Entstellung infolge Lepra keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Person zu haben);
  • Leistungsprobleme und Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ohne offensichtliche Schädigungen (z.B. verminderte Leistung bei den alltäglichen Aktivitäten im Zusammenhang mit vielen Krankheiten);
  • Beeinträchtigungen der Partizipation [Teilhabe] ohne Schädigungen oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit (z.B. eine HIV-positive Person oder ein Patient, der eine psychische Krankheit überwunden hat, die sich einer Stigmatisierung oder Diskriminierung in interpersonellen Beziehungen oder bei der Arbeit ausgesetzt sehen);
  • Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bei fehlender Assistenz, aber ohne Leistungsprobleme in der gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt (z.B. können einer Person mit Mobilitätseinschrän-kungen von der Gesellschaft technische Hilfsmittel für die Mobilität zur Verfügung gestellt werden);
  • Auswirkungen in die umgekehrte Richtung (z.B. kann ein mangelnder Gebrauch der Extremitäten zu Muskelatrophie führen; Institutionalisierung kann den Verlust sozialer Fertigkeiten nach sich ziehen).

Fallbeispiele im Anhang 4 illustrieren weitere Möglichkeiten der Interaktionen zwischen den Konstrukten.

Das Schema, das in Abbildung 1 dargestellt ist, skizziert die Rolle, die Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personbezogene Faktoren) in dem Prozess spielen. Diese Faktoren stehen in Wechselwirkung mit dem Menschen mit einem Gesundheitsproblem und bestimmen das Ausmaß der Funktionsfähigkeit dieses Menschen. Umweltfaktoren liegen außerhalb des Individuums (z.B. die Einstellungen der Gesellschaft, Charakteristika der Architektur, das Rechtssystem) und sind in der Klassifikation der Umweltfaktoren aufgelistet. Personbezogene Faktoren hingegen sind in der gegenwärtigen Fassung der ICF nicht klassifiziert. Zu ihnen gehören Geschlecht, ethnische Herkunft, Alter, Fitness, Lebensstil, Gewohnheiten, Bewältigungsstile und andere derartige Faktoren. Falls notwendig, ist ihre Beurteilung dem Anwender überlassen.

5.2 Medizinische und soziale Modelle

Es wurde eine Vielfalt von Konzepten und Modellen16 zum Verständnis und zur Erklärung von Funktionsfähigkeit und Behinderung vorgeschlagen. Diese können in einer Dialektik von "medizinischem Modell" und "sozialem Modell" ausgedrückt werden. Das medizinische Modell betrachtet "Behinderung" als ein Problem einer Person, welches unmittelbar von einer Krankheit, einem Trauma oder einem anderen Gesundheitsproblem verursacht wird, das der medizinischen Versorgung bedarf, etwa in Form individueller Behandlung durch Fachleute. Das Management von Behinderung zielt auf Heilung, Anpassung oder Verhaltensänderung des Menschen ab. Der zentrale Anknüpfungspunkt ist die medizinische Versorgung, und vom politischen Standpunkt aus gesehen geht es grundsätzlich darum, die Gesundheitspolitik zu ändern oder zu reformieren. Das soziale Modell der Behinderung hingegen betrachtet Behinderung hauptsächlich als ein gesellschaftlich verursachtes Problem und im wesentlichen als eine Frage der vollen Integration Betroffener in die Gesellschaft. Hierbei ist "Behinderung" kein Merkmal einer Person, sondern ein komplexes Geflecht von Bedingungen, von denen viele vom gesellschaftlichen Umfeld geschaffen werden. Daher erfordert die Handhabung dieses Problems soziales Handeln, und es gehört zu der gemeinschaftlichen Verantwortung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, die Umwelt so zu gestalten, wie es für eine volle Partizipation [Teilhabe] der Menschen mit Behinderung an allen Bereichen des sozialen Lebens erforderlich ist. Das zentrale Thema ist daher ein einstellungsbezogenes oder weltanschauliches, welches soziale Veränderungen erfordert. Vom politischen Standpunkt aus gesehen wird dieses Thema zu einer Frage der Menschenrechte. Für dieses Modell ist Behinderung ein politischen Thema.

Das Konzept der ICF basiert auf einer Integration dieser beiden gegensätzlichen Modelle. Um die verschiedenen Perspektiven der Funktionsfähigkeit zu integrieren, wird ein "biopsychosozialer" Ansatz verwendet. Die ICF versucht eine Synthese zu erreichen, die eine kohärente Sicht der verschiedenen Perspektiven von Gesundheit auf biologischer, individueller und sozialer Ebene ermöglicht.17

6. Gebrauch der ICF

Die ICF ist eine Klassifikation menschlicher Funktionsfähigkeit und Behinderung. In ihr werden systematisch Gesundheits- und gesundheitsbezogene Domänen gruppiert. Innerhalb jeder Komponente sind die Domänen hinsichtlich ihrer gemeinsamen Charakteristika (wie deren Ursprung, Typ oder Ähnlichkeit) zusammengefasst und in sinnvoller Weise geordnet. Die Klassifikation wurde nach bestimmten Prinzipien gegliedert (siehe Anhang 1). Diese Prinzipien beziehen sich auf den Zusammenhang der Ebenen und auf die Hierarchie der Klassifikation (Mengen von Ebenen). Einige Kategorien der ICF sind jedoch nicht-hierarchisch zusammengestellt, ohne Ordnungsstruktur, sondern als gleichrangige Zweige eines Astes.

Die folgenden strukturellen Merkmale der Klassifikation haben Bedeutung für die Anwendung.

  1. Im Gegensatz zu umgangssprachlichen Begriffen von Gesundheit enthält die ICF operationale Standarddefinitionen für Gesundheits- und gesundheitsbezogene Domänen. Diese Definitionen beschreiben die wesentlichen Merkmale jeder Domäne (z.B. Arten, Eigenschaften, Zusammenhänge) und enthalten Informationen zu den Ein- und Ausschlusskriterien für jede Domäne. Die Definitionen enthalten allgemein verwendete Ankerpunkte für die Beurteilung, sodass sie in Fragebögen übernommen werden können. Umgekehrt können Ergebnisse, die aus bestehenden Assessmentinstrumenten resultieren, in ICF-Begriffen kodiert werden. Zum Beispiel sind "Sehfunktionen" als "Sinnesfunktionen bezüglich der ein- oder beidäugigen Wahrnehmung von Licht sowie von Form, Größe, Gestalt und Farbe des visuellen Reizes aus unterschiedlichen Entfernungen" definiert, sodass im Hinblick auf diese Parameter die Einschränkung des Sehvermögens als "leicht", "mäßig", "erheblich" oder "voll ausgeprägt" kodiert werden kann.
  2. Die ICF benutzt ein alphanumerisches System, bei dem die Buchstaben "b", "s", "d" und "e" zur Bezeichnung der Körperfunktionen und Körperstrukturen, Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] sowie Umweltfaktoren verwendet werden. Jedem Buchstaben folgt ein numerischer Kode, der mit der Kapitelnummer (eine Ziffer) beginnt, gefolgt von der zweiten Gliederungsebene (zweiziffrig) sowie der dritten und vierten Ebene (jeweils einziffrig).
  3. Die ICF-Kategorien sind "eingebettet", sodass allgemeinere Kategorien stärker detaillierte Subkategorien einschließen. (Z.B. enthält die Domäne "Mobilität" des Kapitels 4 der Komponente der Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] getrennte Kategorien für "Stehen", "Sitzen", "Gehen", "Gegenstände tragen" usw.). Die Kurzversion umfasst zwei Gliederungsebenen und die Vollversion alle vier Gliederungsebenen. Die Kodes beider Versionen entsprechen einander. Die Kurzversion kann aus der Vollversion extrahiert werden.
  4. Jedes Individuum kann mehrere Kodes auf jeder Ebene aufweisen. Diese können unabhängig voneinander sein oder in einem Zusammenhang miteinander stehen.
  5. Die ICF-Kodes sind nur in Verbindung mit einem Beurteilungsmerkmal vollständig, der das Gesundheitsniveau angibt (z.B. den Schweregrad eines Problems). Beurteilungsmerkmale werden mit einer, zwei oder mehr Ziffern nach einem Punkt (oder Separator) kodiert. Wird ein Kode verwendet, sollte er mindestens mit einem Beurteilungsmerkmal ergänzt werden. Ohne Beurteilungsmerkmale sind Kodes nicht sinnvoll.
  6. Das erste Beurteilungsmerkmal für Körperfunktionen und -strukturen, die Beurteilungsmerkmale für Leistung und Leistungsfähigkeit der Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] sowie das erste Beurteilungsmerkmal für Umweltfaktoren beschreiben alle das Ausmaß von Problemen in den entsprechenden Komponenten.
  7. Das Ausmaß eines Problems in allen drei Komponenten (Körperfunktionen und strukturen, Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] sowie Umweltfaktoren) wird mit demselben allgemeinen Beurteilungsmerkmal beschrieben. Ein Problem kann hierbei, je nach betrachtetem Konstrukt, eine Schädigung, eine Beeinträchtigung der Aktivität oder Partizipation [Teilhabe] oder eine Barriere bedeuten. Geeignete qualifizierende Bezeichnungen sind in der folgenden Tabelle in Klammern angegeben und sollten im Hinblick auf die relevanten Klassifikationsdomänen ausgewählt werden (wobei "xxx" für den Domänenkode der zweiten Gliederungsstufe steht). Für diese in allgemeiner Weise zu verwendenden Quantifizierungen ist es erforderlich, Assessmentverfahren mittels Forschung zu entwickeln. Für die Fälle, in denen kalibrierte Assessmentinstrumente oder andere Standards zur Quantifizierung des Ausmaßes einer Schädigung, einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit, eines Leistungsproblems oder einer Barriere zur Verfügung stehen, werden breite Prozentbereiche angegeben. Wenn zum Beispiel für ein Problem "nicht vorhanden" oder "voll ausgeprägt" angegeben wird, hat diese Kodierung eine Fehlerrate von bis zu 5%. "Mäßig ausgeprägt" ist definiert als höchstens der halbe Skalenwert von "voll ausgeprägt". Die Prozentwerte müssen für die unterschiedlichen Domänen als Perzentile bezüglich der Bevölkerungsstandards kalibriert werden.

  8. Erstes Beurteilungsmerkmal (Ausmaß oder Größe des Problems)
    KodeBezeichnung (Klassentitel)geeignete BezeichnungenAusmaß des Problems in Prozent
    xxx.0Problem nicht vorhandenohne, kein, unerheblich ...0-4%
    xxx.1Problem leicht ausgeprägtschwach, gering ...5-24%
    xxx.2Problem mäßig ausgeprägtmittel, ziemlich...25-49%
    xxx.3Problem erheblich ausgeprägthoch, äußerst ...50-95%
    xxx.4Problem voll ausgeprägtkomplett, total ...96-100%
    xxx.8nicht spezifiziertunbesetztunbesetzt
    xxx.9nicht anwendbarunbesetztunbesetzt
  9. Im Fall der Umweltfaktoren kann das erste Beurteilungsmerkmal entweder dazu verwendet werden, das Ausmaß positiver Effekte der Umwelt, d.h. Förderfaktoren, zu kennzeichnen oder aber das Ausmaß negativer Effekte, d.h. Barrieren. In beiden Fällen wird dieselbe Skala von 0 bis 4 benutzt. Für die Förderfaktoren wird jedoch der Punkt durch das Pluszeichen ersetzt, z.B. e110+2. Umweltfaktoren können kodiert werden (a) im Zusammenhang mit jedem einzelnen Konstrukt oder (b) allgemein, d.h. ohne Bezugnahme auf ein einzelnes Konstrukt. Die erste Option ist vorzuziehen, weil sie den Einfluss und Beitrag klarer identifiziert.
  10. Für verschiedene Anwender könnte es angebracht und hilfreich sein, den Kodes jedes Items andere Arten von Informationen hinzuzufügen. Es gibt verschiedene zusätzliche Beurteilungsmerkmale, die nützlich sein könnten. Tabelle 3 zeigt die Einzelheiten der Beurteilungsmerkmale für jede Komponente sowie zusätzliche Beurteilungsmerkmale, deren Entwicklung vorgeschlagen wird.
  11. Die Beschreibungen der Gesundheits- und gesundheitsbezogenen Domänen beziehen sich auf einen gegebenen Zeitpunkt (z.B. als eine Momentaufnahme). Es ist jedoch möglich, die Beschreibungen zu verschiedenen Zeitpunkten zu wiederholen, um die Entwicklung im Zeitverlauf darzustellen.
  12. Der Gesundheitszustand und die mit Gesundheit zusammenhängenden Zustände einer Person werden in der ICF in einer Reihe von Kodes abgebildet, welche die beiden Teile der Klassifikation umfassen. Aus diesem Grund ist die maximale Zahl von Kodes pro Person auf der einziffrigen Ebene (erste Gliederungsstufe) gleich 34 (8 Kodes für Körperfunktionen, 8 für Körperstrukturen, 9 für Leistung und 9 für Leistungsfähigkeit). Auf der dreiziffrigen Ebene (zweite Gliederungsstufe) ist die Gesamtzahl der Kodes gleich 362. Auf den stärker detaillierten Gliederungsstufen kann die Gesamtzahl der Kodes bis zu 1424 anwachsen. In der praktischen Anwendung der ICF dürfte eine Kodezahl von 3 bis 18 für die Beschreibung eines Falles mit der Genauigkeit der zweiten Gliederungsstufe (dreiziffrig) angemessen sein. Allgemein ist die stärker detaillierte Vier-Ebenen-Version für spezielle Dienste (z.B. Rehabilitationsergebnisse, Geriatrie) vorgesehen, während die Zwei-Ebenen-Klassifikation für Erhebungen und Ergebnisevaluation im Krankenhausbereich verwendet werden kann.

Weitere Kodierungsleitlinien werden in Anhang 2 gegeben. Anwendern wird dringend empfohlen, sich von der WHO oder ihrem Netzwerk von Collaborating Centres in der Anwendung der ICF schulen zu lassen.

Tabelle 3: Beurteilungsmerkmale
KomponenteErstes BeurteilungsmerkmalZweites Beurteilungsmerkmal
Körperfunktionen (b) Allgemeines Beurteilungsmerkmal mit negativer Skala,
um Ausmaß oder Größe einer Funktionsstörung anzugeben.

Beispiel: b167.3 kennzeichnet eine erhebliche Beeinträchtigung der spezifischen mentalen Funktionen der Sprache
Keines
Körperstrukturen (s)

Allgemeines Beurteilungsmerkmal mit negativer Skala,
um Ausmaß oder Größe eines Strukturschadens anzugeben.

Beispiel: s730.3 kennzeichnet einen erheblichen Strukturschaden der oberen Extremität.

Zur Dokumentation der Art oder Veränderung in der entsprechenden Körperstruktur

  • 0 = keine Veränderung
  • 1 = nicht vorhanden
  • 2 = teilweise nicht vorhanden
  • 3 = zusätzlicher Teil
  • 4 = von der üblichen Form abweichend (aberrant)
  • 5 = Diskontinuität
  • 6 = abweichende Lage
  • 7 = qualitative Strukturveränderung, einschließlich Ansammlung von Flüssigkeit
  • 8 = nicht spezifiziert
  • 9 = nicht anwendbar.

Beispiel: s730.32 kennzeichnet das teilweise Fehlen der oberen Extremität.

Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe] (d) Leistung
Allgemeines Beurteilungsmerkmal
Problem in der gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt der Person

Beispiel: d5101.1_ kennzeichnet leichte Schwierigkeiten beim Baden des gesamten Körpers, wobei in der gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt der Person Assistenz oder Hilfsmittel zur Verfügung stehen
Leistungsfähigkeit
Allgemeines Beurteilungsmerkmal
Einschränkung ohne Assistenz/Hilfsmittel

Beispiel: d5101._2 kennzeichnet mäßige Schwierigkeiten beim Baden des gesamten Körpers; dies impliziert, dass ohne Assistenz oder Hilfsmittel mäßige Schwierigkeiten vorhanden sind
Umweltfaktoren (e) Allgemeines Beurteilungsmerkmal mit negativer und positiver Skala, um das Ausmaß von Barrieren und Förderfaktoren anzugeben.

Beispiel: e130.2 besagt, dass Produkte und Technologien für Bildung/Ausbildung eine mäßige Barriere darstellen. Umgekehrt würde e130+2 besagen, dass Produkte und Technologien für Bildung/Ausbildung einen mäßigen Förderfaktor darstellen.
Keines

Beschluss der 54. Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation zur internationalen Anwendung der ICF (Mai 2001)

Der Beschluss WHA54.21 lautet wie folgt:

Die 54. Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation,

  1. beschließt die zweite Auflage der Internationalen Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen (ICIDH) unter dem Titel Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, im folgenden kurz ICF genannt;
  2. fordert die Mitgliedsstaaten auf, die ICF in geeigneter Form bei Forschung, Überwachung und Berichterstattung zu verwenden, unter Berücksichtigung der spezifischen Situationen in den Mitgliedsstaaten und besonders auch zukünftiger Revisionen;
  3. bittet die Generaldirektorin, Mitgliedsstaaten auf deren Ersuchen bei der Anwendung der ICF zu unterstützen.

1 Dieser Text entspricht einer Revision der Internationalen Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen (ICIDH), die erstmals 1980 von der Weltgesundheitsorganisation zu Versuchszwecken veröffentlicht wurde. Sie wurde nach systematischen Feldversuchen und internationalen Konsultationen in den letzten fünf Jahren entwickelt und von der 54. Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation am 22. Mai 2001 für den internationalen Gebrauch beschlossen (Resolution WHA54.21).

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2 Diese Fachbegriffe, welche die früher verwendeten Begriffe "Schädigung", "Fähigkeitsstörung" und "soziale Beeinträchtigung" ersetzen, erweitern die Reichweite der Klassifikation, sodass die Beschreibung positiver Erfahrungen ermöglicht wird. Die neuen Fachbegriffe werden in dieser Einführung definiert und innerhalb der Klassifikation im einzelnen dargestellt. Es sei angemerkt, dass diese Fachbegriffe in bestimmten Bedeutungen verwendet werden, die sich von denen des alltäglichen Sprachgebrauchs unterscheiden können.

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3 Eine Domäne ist eine praktikable und sinnvolle Menge von miteinander im Zusammenhang stehenden physiologischen Funktionen, anatomischen Strukturen, Handlungen, Aufgaben oder Lebensbereichen.

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4 International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Tenth Revision, Vols. 1-3, Geneva, World Health Organization, 1992-1994.

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5 Es ist ebenfalls wichtig, die Überlappung zwischen der ICD-10 und der ICF zu sehen. Beide Klassifikationen beginnen mit Körpersystemen. Schädigungen beziehen sich auf Körperstrukturen und funktionen, die üblicherweise Teil des "Krankheitsprozesses" sind und deshalb auch in der ICD-10 verwendet werden. Gleichwohl verwendet die ICD-10 Schädigungen (als Befunde und Symptome) als Teile einer Konstellation, die eine "Krankheit" formt, gelegentlich aber auch als Gründe für die Inanspruchnahme der gesundheitlichen Versorgung, während die ICF Schädigungen als gesundheitsbedingte Probleme der Körperfunktionen und -strukturen verwendet.

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6 Zwei Personen mit derselben Krankheit können ein unterschiedliches Niveau der Funktionsfähigkeit aufweisen, und zwei Personen mit gleichem Niveau der Funktionsfähigkeit haben nicht notwendigerweise das gleiche Gesundheitsproblem. Die gemeinsame Verwendung erhöht daher die Datenqualität für medizinische Zwecke. Die Anwendung der ICF sollte reguläre diagnostische Verfahren nicht umgehen. In anderen Anwendungsbereichen kann die ICF allein verwendet werden.

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7 Standard Rules on the Equalization of Opportunities for Persons with Disabilities. Beschlossen in der 48. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20.12.1993 (Beschluss 48/96). New York, NY, Abteilung für Öffentlichkeitsinformation, 1994.

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8 Beispiele für Gesundheitsdomänen sind Sehen, Hören, Gehen, Lernen und sich Erinnern. Beispiele für mit Gesundheit zusammenhängende Domänen sind Transport, Bildung/Ausbildung und soziale Interaktionen.

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9 Bickenbach JE, Chatterji S, Badley, EM, Üstün, TB. Models of disablement, universalism and the ICIDH. Social Science and Medicine, 1999, 48:1173-1187.

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10 Diese Interaktionen können in Abhängigkeit vom Anwender als Prozess oder Ergebnis betrachtet werden.

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11 Siehe auch Anhang 1, Taxonomische und terminologische Themen

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12 Obwohl die Organebene in der Version der ICIDH von 1980 erwähnt wurde, ist die Definition des Begriffs "Organ" nicht ganz klar. "Auge" und "Ohr" werden traditionell als Organe betrachtet. Es ist jedoch schwierig, ihre Grenzen zu identifizieren und zu definieren. Dasselbe gilt für Extremitäten und innere Organe. Anstelle eines "organbezogenen" Konzepts, welches die Existenz einer Gesamtheit oder Einheit innerhalb des Körpers impliziert, wird dieser Begriff in der ICF durch den Begriff "Körperstruktur" ersetzt.

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13 Daher sollen Schädigungen, die mittels der Vollversion der ICF kodiert werden, durch andere Personen oder die betroffene Person mittels direkter Beobachtung oder Schlussfolgerungen aus Beobachtungen erkennbar oder bemerkbar sein.

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14 Die Definition der Teilhabe führt das Konzept des Einbezogenseins ein. Es wurden Definitionen von "Einbezogensein" vorgeschlagen, die Vorstellungen von "teilnehmen an", "teilhaben an" oder "beschäftigt sein in" in einem Lebensbereich, "anerkannt werden" oder "Zugang haben zu benötigten Ressourcen" beinhalten. Die einzige Möglichkeit, in der Informationsmatrix der Tabelle 2 auf Teilhabe hinzuweisen, ist die Kodierung mittels Leistung. Das heißt nicht, dass Teilhabe automatisch gleichgesetzt wird mit Leistung. Das Konzept des Einbezogenseins sollte auch unterschieden werden von der subjektiven Erfahrung des Einbezogenseins ("Zugehörigkeitsgefühl"). Anwender, die das Einbezogensein getrennt kodieren möchten, sollten die Kodierungsleitlinien des Anhangs 2 beachten.

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15 Die ICF unterscheidet sich wesentlich von der ICIDH aus dem Jahr 1980 in der Darstellung der Zusammenhänge zwischen den Dimensionen der Funktionsfähigkeit und Behinderung. Es sollte angemerkt werden, dass wahrscheinlich jedes Diagramm unvollständig und wegen der Komplexität der Interaktionen in einem mehrdimensionalen Modell anfällig für eine Fehldarstellung ist. In Abbildung 1 geht es darum, die multiplen Interaktionen zu illustrieren. Andere Darstellungen, die andere Schwerpunkte des Prozesses setzen, sind sicherlich möglich. Die Interpretationen der Interaktionen zwischen den verschiedenen Komponenten und Konstrukten können ebenfalls variieren (z.B. unterscheidet sich der Einfluss der Umweltfaktoren auf die Körperfunktionen von dem auf die Teilhabe).

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16 Der Begriff "Modell" bedeutet hier ein Konstrukt oder Paradigma. Seine Verwendung unterscheidet sich von der des vorangegangenen Abschnitts.

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17 Vgl. auch Anhang 5 "ICF und Menschen mit Behinderungen".

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