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ICF Version 2005

Anhang 5: ICF und Menschen mit Behinderungen

Von Anfang an hat der Revisionsprozess der ICF vom Beitrag seitens Menschen mit Behinderungen und Organisationen von Menschen mit Behinderungen profitiert. Vor allem Disabled Peoples' International hat ihre Zeit und Energie für den Prozess der Revision zur Verfügung gestellt, und die ICF spiegelt heute diesen wichtigen Beitrag wider.

Die WHO erkennt die Bedeutung der vollen Partizipation von Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen für die Überarbeitung einer Klassifikation von Funktionsfähigkeit und Behinderung an. Als Klassifikation wird die ICF wichtige Grundlage für Beurteilung und Messung von Behinderung in zahlreichen wissenschaftlichen, klinischen, administrativen und sozialpolitischen Kontexten sein. Es ist deshalb wichtig, Sorge zu tragen, dass die ICF nicht missbraucht wird für Zwecke, die den Interessen von Menschen mit Behinderungen zuwiderlaufen (vgl. Ethische Leitlinien in Anhang 6).

Insbesondere ist sich die WHO darüber bewusst, dass gerade auch die in dieser Klassifikation verwendeten Begriffe als Stigma oder Etikette wirken können. Aus diesem Grund wurde bereits früh im Revisionsprozess entschieden, den Begriff "Handicap" ganz fallen zu lassen und "Behinderung" nicht als Bezeichnung einer Komponente zu verwenden, sondern ausschließlich als einen allgemeinen Oberbegriff.

Es bleibt die schwierige Frage, wie man Menschen am besten bezeichnen kann, welche ein gewisses Maß an funktionalen Einschränkungen oder Begrenzung erfahren. Die ICF verwendet den Begriff "Behinderung", um das mehrdimensionale Phänomen zu bezeichnen, das aus der Interaktion zwischen Menschen und ihrer materiellen und sozialen Umwelt resultiert. Aus vielen verschiedenen Gründen bevorzugen einige, den Begriff "Menschen mit Behinderungen", andere "behinderte Menschen" zu verwenden. Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Meinungen, steht es der WHO nicht zu, hier die eine oder andere Sprachform zu wählen. Stattdessen bestärkt die WHO den wichtigen Grundsatz, dass Menschen ein Recht darauf haben, so genannt zu werden wie sie es wünschen.

An dieser Stelle ist es wichtig noch einmal zu betonen, dass die ICF keine Klassifikation von Menschen ist. Sie ist eine Klassifikation der Gesundheitscharakteristiken von Menschen im Kontext ihrer individuellen Lebenssituation und den Einflüssen der Umwelt. Die Interaktion zwischen Gesundheitscharakteristiken und Kontextfaktoren resultiert in Behinderungen. Deshalb dürfen Personen nicht auf ihre Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivität oder Beeinträchtigungen der Partizipation [Teilhabe] reduziert oder nur mittels dieser beschrieben werden. Zum Beispiel verwendet die Klassifikation statt "geistig behinderte Person" die Umschreibung "Person mit einem Problem im Lernen". Die ICF sichert dies, indem sie Bezüge zu einer Person mit Begriffen für Krankheiten oder Behinderungen vermeidet und durchgängig eine neutrale oder positive und konkrete Sprache verwendet.

Um der gerechtfertigten Befürchtung einer systematischen Etikettierung von Menschen entgegen zu wirken, sind die Kategorien in der ICF neutral gefasst, um Herabsetzungen, Stigmatisierungen und unangemessene Konnotationen zu vermeiden. Dies führt allerdings zu einer "Hygienisierung der Begriffe". Die negative Attributierung der eigenen Gesundheit und die Reaktion anderer existieren jedoch unabhängig von den Umschreibungen, die zur Definition eines Zustandes verwendet werden. Wie immer auch "Behinderung" genannt wird, sie existiert unabhängig von dieser Bezeichnung. Es handelt sich hier nicht ausschließlich um ein sprachliches Problem, sondern vielmehr um ein Problem der Einstellung von einzelnen und der Gesellschaft gegenüber Behinderungen. Benötigt werden korrekte Inhalte sowie eine korrekte Verwendung der Begriffe und der Klassifikation.

Die WHO wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass Menschen mit Behinderungen durch die Klassifikation und die Beurteilung ermächtigt statt ihrer Rechte beraubt und diskriminiert werden.

Es ist zu hoffen, dass behinderte Menschen in verschiedenen Bereichen selber zur Anwendung in der Praxis und zur Weiterentwicklung der ICF beitragen. Als Forscher, in Leitungsfunktionen und als Politiker werden behinderte Menschen die Entwicklung von Protokollen und Verfahren unterstützen, die ihre Grundlagen in der ICF haben. Die ICF hat auch das Potenzial, einer auf Evidenz basierende Vertretung der eigenen Rechte und Anliegen zu dienen. Sie ermöglicht das Sammeln von verlässlichen und vergleichbaren Daten, um die Notwendigkeit für Veränderungen zu belegen. Die politische Vorstellung, dass Behinderung ebenso eine Folge von Barrieren in der Umwelt als von Krankheiten oder Schädigungen ist, muss zuerst in ein Forschungsprogramm und dann in eine valide und verlässliche Dokumentation übersetzt werden. Solche Dokumentationen und empirische Belege politischer Aussagen können zu echten sozialen Veränderungen für Menschen mit Behinderungen auf der ganzen Welt führen.

Das Eintreten für Behindertenrechte kann auch durch die Verwendung der ICF gestärkt werden. Das wichtigste Ziel dieses Engagements ist die Identifikation von Maßnahmen, welche das Maß an sozialer Partizipation [Teilhabe] von Menschen mit Behinderungen erhöhen können. Die ICF kann hier helfen, das Hauptproblem zu identifizieren, sei es nun die Umwelt durch ihre Barrieren oder fehlende Förderfaktoren, die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Individuums selber oder eine Kombination verschiedener Faktoren. Dank dieser Klärung können Maßnahmen gezielter eingesetzt und ihre Auswirkungen auf das Maß an Partizipation [Teilhabe] verfolgt und gemessen werden. So können konkrete, messbare Ziele erreicht und die langfristigen Zielsetzungen der Behindertenfürsprecher unterstützt werden.