ICD-O-3 Zweite Revision
Die ICD-O ist eine duale Klassifikation. Sie unterscheidet zwischen einem Schlüssel für die Lokalisation und einem für die Histologie einer Neoplasie. Der Lokalisationskode beschreibt den Sitz der Neoplasie und verwendet denselben drei- und vierstelligen Schlüsselnummernbereich, der in der ICD-10 für die malignen Neoplasien benutzt wird. Dies führt zu einer größeren Genauigkeit bei der Kodierung der Lokalisation benigner Tumoren als in der ICD-10. Der morphologische Kode beschreibt den Zelltyp der Neoplasie und ihr biologisches Verhalten. Er charakterisiert sozusagen die Neoplasie selbst.
Die ICD-O besteht aus fünf Hauptabschnitten. Der systematische Teil und das Alphabetische Verzeichnis werden weiter unten genauer beschrieben. In der ICD-O-3 wird das Systematische Verzeichnis/die Systematik meist als Numerische Liste bezeichnet, das Alphabetische Verzeichnis/Alphabet als Alphabetischer Index.
Die folgenden Abkürzungen werden durchgängig verwendet:
Sofern englischsprachige Begriffe in dieser Ausgabe verwendet werden, so wurde der Konvention des englischsprachigen WHO-Originales gefolgt und die amerikanische Schreibweise verwendet. Im englischen Original wird im alphabetischen Verzeichnis bei den Einträgen in britischer Schreibweise auf die Einträge in amerikanischer Schreibweise verwiesen, z.B. "Oesophagus (see Esophagus)".
Der topographische Teil wurde dem Abschnitt über die malignen Neoplasien aus dem Kapitel II der ICD-10 angepasst. Diesen topographischen Bezeichnungen sind vierstellige Schlüsselnummern aus dem Schlüsselbereich C00.0 bis C80.9 zugeordnet. Ein Punkt (.) trennt die Subkategorien von den dreistelligen Kategorien.
Abb. 7
Der morphologische Abschnitt der ersten und der zweiten Ausgabe der ICD-O wurde überarbeitet. Es wurden neue Begriffe eingefügt. Die Abschnitte über die Non-Hodgkin-Lymphome und die Leukämien wurden auf der Grundlage der WHO-Klassifikation der Tumoren des hämatopoetischen und des lymphatischen Systems überarbeitet (9, 24, 25). Weitere Aktualisierungen basieren auf den WHO-Klassifikationen der Tumoren des Verdauungssystems (11) und des Nervensystems (10). Die Gliederung der Nomenklatur der Morphologie spiegelt sich in der numerischen Liste wieder. Sie sollte der primäre Einstieg in die Klassifikation zur Suche oder Entschlüsselung sein.
In der deutschen Fassung der ICD-O wurde das bislang in der englischen Fassung noch vorhandene "M-" vor der eigentlichen Schlüsselnummer nicht mehr mitgeführt. Dieses "M-" entstammt der SNOMED. In der ICD-O hatte es anfänglich die Bedeutung, zwischen den ursprünglich dreistelligen und rein numerischen Kodes für die Topographie und den Nummern für die Morphologie einen sichtbaren Unterschied zu schaffen. Mit der Übernahme der alphanumerischen Lokalisationskodes in Anlehnung an die ICD-10 sind Verwechslungen nun nicht mehr möglich, so dass das "M-" nun entfallen kann.
Bei der Bearbeitung des Abschnittes über die Morphologie gab man sich größte Mühe, ganz aktuelle in der Literatur beschriebene Begriffe einzuarbeiten. In zahlreichen Fällen wurden Bezeichnungen von Neoplasien aus mehreren Klassifikationen übernommen, wie zum Beispiel bei den malignen Lymphomen (959 bis 971). Es wird betont, dass die ICD-O eine mit Schlüsselnummern versehene Nomenklatur ist und kein Klassifikationsschema für Neoplasien darstellt. Die Auswahl und Reihenfolge der Begriffe soll nicht als Bevorzugung einer speziellen Klassifikation interpretiert werden.
Morphologische Schlüsselnummern sind fünfstellig und umfassen den Nummernkreis 8000/0 bis 9992/3. Die ersten vier Stellen verweisen auf die histologische Bezeichnung (Abbildung 8). Die fünfte Stelle befindet sich hinter dem Schrägstrich (/). Sie steht für den sogenannten "Dignitätskode", für das biologische Verhalten. Dieser beschreibt, ob es sich um einen malignen oder benignen Tumor, ein Carcinoma in situ oder um eine Neoplasie fraglicher Dignität handelt (vgl. Abschnitt 4.3.3).
Abb. 8
Zur Beschreibung des histologischen Differenzierungsgrades (Grading) ist ein gesonderter einstelliger Schlüssel vorgesehen (vgl. Grading oder Differenzierungsgrad im Abschnitt 4.3.4). Bei den Lymphomen und den Leukämien wird dieser Teil des Kodes zur immunologischen Charakterisierung (T-Zell, B-Zell, NK-Zell und Null-Zell) verwendet.
Eine vollständige ICD-O-Schlüsselnummer besteht also aus 10 Stellen bzw. Zeichen, um Lokalisation (4 Stellen), Histologie (4 Stellen), das biologische Verhalten (1 Stelle) und den Differenzierungsgrad einer Neoplasie bzw. deren Äquivalent bei Leukämien und Lymphomen (1 Stelle) zu beschreiben. In Abbildung 9 wird hierfür ein Beispiel gegeben.
Abb. 9
Jede topographische und jede morphologische Bezeichnung erscheint nur einmal in der numerischen Liste, wie es die Beispiele der Abbildung 10 zeigen. Der erstgenannte und fettgedruckte Begriff hinter einem Schlüssel ist die Vorzugsbezeichnung.
Abb. 10
In diesem Beispiel beschreibt "Parotis" alle Fälle, die mit C07.9 verschlüsselt werden. Der Fettdruck zeigt an, dass es sich hier um die Vorzugsbezeichnung handelt. Das Synonym "Parotis o.n.A." steht eingerückt darunter. Der nicht eingerückte Begriff "Stensen-Gang" stellt eine zur Vorzugsbezeichnung gleichrangige oder verwandte Bezeichnung dar. Sie ist zwar kein Synonym der Vorzugsbezeichnung, aber sie wird unter derselben Schlüsselnummer geführt, da sie eine topographische Untereinheit des erstgenannten Begriffes ist und weil der Unterschied nicht groß genug ist, um ihr eine eigene Schlüsselnummer zuzuordnen. Der eingerückte Begriff "Ausführungsgang der Parotis" unter Stensen-Gang ist ein Synonym zu Stensen-Gang. Im alphabetischen Verzeichnis erhalten diese Begriffe alle die C07.9. In gleicher Weise steht "Oxyphiles Adenokarzinom" für alle Entitäten, die unter 8290/3 genannt sind. "Onkozytäres Adenokarzinom" und "Onkozytäres Karzinom" sind andere Bezeichnungen (Synonyme) für das "Oxyphile Adenokarzinom". Das "Hürthle-Zell-Adenokarzinom", das "Hürthle-Zell-Karzinom" und das "Oxyphile follikuläre Karzinom" (gleichrangige oder verwandte Fachausdrücke) sind hingegen andere Karzinome mit oxyphilen Zellen.
Das Alphabetische Verzeichnis dient der Verschlüsselung sowohl der Lokalisation als auch der Histologie. Es enthält außerdem nichtneoplastische tumorähnliche Veränderungen (tumor-like lesions) und Präkanzerosen. Die topographischen Schlüsselnummern sind durch den Buchstaben C gekennzeichnet, der auch das erste Zeichen der Schlüsselnummern des Kapitels II der ICD-10 ist. Die Begriffe sind gleichermaßen unter dem Substantiv wie unter dem Adjektiv zu finden. Beispielsweise findet sich das basophile Adenokarzinom unter B als "Basophil, Adenokarzinom" und unter A als "Adenokarzinom, basophil".
Abbildung 11 zeigt einen Auszug vom Anfang des alphabetischen Verzeichnisses. Sofern ein bestimmter Begriff in zwei oder mehr Einträgen auftaucht, sind die dazugehörenden Einträge mit Spiegelstrichen zurückgesetzt und darunter aufgezählt.
Abb. 11: Auszug aus dem Alphabetischen Verzeichnis der ICD-O-3 Erste Revision
Unter den ersten Oberbegriffen befindet sich "Abdomen". Da es mehr als zwei Modifikatoren gibt, befinden diese sich unter Abdomen als Spiegelstrich-Einträge in alphabetischer Reihenfolge. Als Erstes wird unter dem Oberbegriff immer die Bezeichnung o.n.A. angegeben (statt in alphabetischer Reihenfolge unter O).
Es wurde darauf geachtet, dass sich unter einem Schlagwort möglichst nur Spiegelstrich-Einträge befinden, die entweder topographische oder morphologische Termini enthalten. Durch das Verhindern einer Vermischung beider Systematiken auf dieser Ebene soll eine größere Übersichtlichkeit erreicht werden.
Alle Hinweise, Querverweise, Inklusiva und Exklusiva sind kursiv gestellt, um sie deutlich vom Eintrag mit dem zugehörigen Kode zu unterscheiden.
In Abbildung 11 enthält das alphabetische Verzeichnis tumor-like lesions und Präkanzerosen in ihrer alphabetischen Reihenfolge. Sie können mit einer Neoplasie verwechselt werden, weil sie mit "...om" enden oder Präkanzerosen sind. In der ICD-O werden hinter anstatt einer definierten Morphologie-Schlüsselnummer nur ein M mit sieben Bindestrichen (M-------) angegeben, da es sich nicht um Neoplasien handelt. Stattdessen befindet sich hier eine Anmerkung in Klammern (vgl. SNOMED), um den Leser auf diese (Systematized Nomenclature of Medicine) (2, 3) zu verweisen.
In den vorangegangenen Ausgaben der ICD-O waren die entsprechenden SNOMED-Kodes enthalten. Da jedoch sowohl die letzte als auch noch die vorletzte Ausgabe der SNOMED verwendet werden und die Schlüsselnummern für nichtneoplastische tumorähnliche Neoplasien zwischen den beiden Fassungen leicht voneinander abweichen, wurden die SNOMED-Schlüsselnummern in der dritten Ausgabe der ICD-O nicht mehr mit angegeben.
Lymphome und Leukämien sind eine Ausnahme von der Regel, dass Erkrankungen unter allen Schlagwörtern geführt werden, aus denen sich ihre Fachbezeichnung zusammensetzt. Aufgrund der Zahl der möglichen Permutationen und der Menge an Kombinationen würde das Alphabetische Verzeichnis zu lang werden. Es gibt nur einen Bereich "Lymphom" und einen Bereich "Leukämie". Hier finden sich alle Begriffe, die in der Fachbezeichnung "Lymphom" respektive "Leukämie" enthalten. Bezeichnungen für Lymphome und Leukämien, die die beiden Begriffe nicht enthalten, sind aber ganz normal im alphabetischen Verzeichnis eingeordnet.
"o.n.A." steht hinter morphologischen und topographischen Bezeichnungen, die an anderer Stelle in der ICD-O durch modifizierende Adjektive näher spezifiziert sind. Im alphabetischen Verzeichnis steht der Begriff mit "o.n.A." immer an erster Stelle. Der Begriff "o.n.A." sollte in folgenden Fällen benutzt werden:
Im Alphabetischen Verzeichnis folgt beispielsweise, wie Abbildung 12 zeigt, auf "Adenokarzinom o.n.A." eine lange Liste modifizierender Adjektive mit je einer eigenen Schlüsselnummer.
Abb. 12: Beispiele aus dem Alphabetischen Verzeichnis der ICD-O-3 Erste Revision zu "o.n.A."
Für die alleinige Diagnose Adenokarzinom ist 8140/3 (Adenokarzinom o.n.A.) der korrekte Schlüssel. Lautet der verwendete Diagnosebegriff "atypisches Adenokarzinom", so ist ebenfalls mit 8140/3 zu verschlüsseln, da das Adjektiv "atypisch" in der Liste der modifizierenden Termini des Hauptbegriffes Adenokarzinom nicht vorgesehen ist. "O.n.A." wird sowohl in der numerischen Liste als auch im Alphabetischen Verzeichnis benutzt, um anzuzeigen, dass an anderer Stelle noch Modifikationen des Begriffes vorkommen.
In Einzelfällen zeigt "o.n.A." an, dass ein Begriff nur allgemein verwendet wird. Beispielsweise steht unter "C75.9" hinter "Endokrine Drüsen" auch "o.n.A." um darauf hinzuweisen, dass genauer bezeichnete endokrine Drüsen wie Zirbeldrüse oder Hypophyse unter einer eigenen Schlüsselnummer geführt werden.
Das Kennzeichen [obs.] ist gedacht, um Anwender von der Verwendung eines Begriffes für eine neue Diagnose abzuhalten, wenn bessere diagnostische Bezeichnungen zur Verfügung stehen. Auch wenn ein als [obs.] gekennzeichneter Begriff für die Diagnosestellung verwendet wurde, soll er grundsätzlich kodierbar sein, auch wenn vermutlich ein aktuellerer Begriff zur Verfügung steht. Falls der obsolete Begriff ein berichtspflichtiges Malignom (typischerweise mit Dignitätsziffer /2 oder /3) darstellt, wird DO den Fall in das Register einschließen, obwohl die Terminologie überholt ist.
Darüber hinaus dient [obs.] als Referenz, wenn ein solcher Diagnosebegriff in der Forschung im Zusammenhang mit der Nutzung historischer Daten auftaucht. Manche Begriffe sind ältere Bezeichnungen für Neoplasien, die nun spezifischer beschrieben werden, z.B. Argentaffinom [obs.], das nun als Karcinoidtumor bezeichnet wird, mit zusätzlichen Kodes für verschiedene Varianten. Andere sind wahrhaft altertümlich, wie etwa Lymphosarkom (Erstbeschreibung in den 1890ern, wenngleich der Begriff in der Veterinärmedizin noch verwendet wird). In vielen Fällen wurden diejenigen obsoleten Begriffe, die eine eigene Schlüsselnummer in der ICD-O-2 hatten, einer "a.n.k.-Kategorie" zugeordnet.
In der dritten Ausgabe der ICD-O wurden die Klassifikationen aller Neoplasien durchgesehen und aktualisiert. Am meisten wurde im Bereich der hämatologischen Neoplasien verändert. Neue Diagnosen in der Hämatopathologie mit Schlüsseln zu versehen war einer der wichtigsten und dringlichsten Gründe für eine neue Ausgabe.
Im Laufe der letzten 50 Jahre wurden viele Klassifikationen für Leukämien und Lymphome vorgeschlagen. Manche fanden weite Verbreitung in der klinischen Medizin, andere sind längst vergessen. Während der ganzen Zeit wurde jedoch die Trennung von Leukämie und Lymphomen als grundlegend erachtet, so dass deren Klassifikationen weitgehend unabhängig voneinander entwickelt wurden.
Die Mehrzahl der Lymphomklassifikationen kann zwei Gruppen zugeordnet werden. Zum einen wurden die Neoplasien nach rein morphologischen Kriterien wie Zellgröße, Aussehen und Wachstumsmuster eingeteilt, wie auch in der 1955 erstveröffentlichten Klassifikation von Rappaport. Sie stellte einen Meilenstein in der Erforschung der Lymphome dar, und sie war dem Verständnis der Funktion normaler Lymphozyten um ein Jahrzehnt voraus. Zum anderen wurde in der Kieler Klassifikation und in der Klassifikation von Lukes und Collins davon ausgegangen, dass die Zellreifung bei einem malignen Lymphom unterbrochen worden wäre und dass die Neoplasien durch den Vergleich mit den normalen Entwicklungsstadien der Lymphozyten klassifiziert werden können. In den USA wurde mit der National Cancer Institute's Working Formulation versucht, ein Werkzeug zu schaffen, das zu Vergleichszwecken die Konvertierung der Daten in ein gemeinsames Format erlaubt. Faktisch wurde die Working Formulation jedoch zu einer Klassifikation, die wie bei Rappaport hauptsächlich auf morphologischen Eigenschaften fußte.
Namentlich für den klinischen Gebrauch wurde bei den meisten Lymphomklassifikationen ein Grading-System verwendet, das zwecks Vereinfachung die zahlreichen Formen der Neoplasien in einigen wenigen Kategorien zusammenfasste. Es muss hier betont werden, dass die Grade aus den verschiedenen Klassifikationssystemen nicht exakt vergleichbar sind. In der Kieler Klassifikation bezieht sich "High-grade" und "Low-grade" auf die Zellgröße im Tumor. In der Working Formulation lehnt sich das Grading an die prognostischen Daten der Ausgangsstudie der jeweiligen Klassifikation an. Klinisch bedeutet hier "High-grade" eine aggressiv wachsende Neoplasie, die potentiell durch eine Chemotherapie heilbar ist, wohingegen mit "Low-grade" die langsamer wachsenden, aber oft unheilbaren Lymphome bezeichnet werden.
Das French-American-British(FAB)-System (7) stellte eine parallel entwickelte, aber anders strukturierte Klassifikation der myeloischen und der lymphatischen Leukämien sowie der Myelodysplasien dar, die von mehr traditionellen Vorstellungen geprägt war.
In den frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde klar, dass es mit den bestehenden Lymphom- und Leukämie-Klassifikationen zahlreiche Probleme geben würde. Die Einführung der immunophänotypischen und der molekularbiologischen Techniken offenbarte eine deutliche Heterogenität innerhalb der einzelnen Kategorien. Man erkannte, dass die Verwendung des Grading als Ausgangspunkt für klinische Untersuchungen oder für epidemiologische Studien potentiell irreführend war. In dem Maße, in dem die Definitionen eindeutiger wurden, stellte sich die Unterscheidung zwischen Lymphomen und Leukämien als künstlich dar; sie spiegelte statt des eigentlichen Zelltyps oder eines klinischen Unterschiedes eher das Ausbreitungsmuster im jeweiligen Patienten wieder. Die Unterscheidung zwischen Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphom war ein Eckstein der Klassifikation der Lymphome. Zahlreiche Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Tumorzellen des Morbus Hodgkin der B-Zell-Reihe entstammen und dass der Morbus Hodgkin somit eher als eine Form der B-Zell-Lymphome anzusehen ist denn als eigenständige Krankheit. In zytogenetischen Studien wurde enthüllt, welch eine wichtige Rolle chromosomale Translokationen mit Dysregulation einzelner Gene in der Pathogenese und dem klinischen Verhalten zahlreicher Arten von Leukämien und Lymphomen spielen und welch langer Weg es noch bis zum vollständigen Verständnis der Tumorpathogenese sein würde.
Diese Entwicklungen waren die Basis für die 1994 veröffentlichte Revised-European-American-Lymphoma(REAL)-Klassifikation (6). Auch wenn die Termini eine Ähnlichkeit zur Kieler Klassifikation nahelegen, so liegt ihr doch ein anderes Konzept zugrunde. In der REAL-Klassifikation erfolgt die Definition der klinisch-pathologischen Entitäten anhand einer Kombination aus Morphologie, Immunophänotyp, genetischen Abweichungen und klinischen Aspekten. Trotz der großen Zahl möglicher Kombinationen dieser Variablen gibt es recht wenige Kombinationen, die für eine spezielle Erkrankung stehen und es können so 90% der Krankheiten des lymphatischen Systems beschrieben werden. Die WHO-Klassifikation (24, 25) der malignen hämatologischen Erkrankungen verfolgt den gleichen Ansatz, deswegen ist ihr Abschnitt über die lymphoproliferativen Erkrankungen dem der REAL sehr ähnlich. Die Art der Subklassifikation der akuten myeloischen Leukämie (AML) berücksichtigt die Wichtigkeit von zytogenetischen Abnormitäten und die Unterscheidung zwischen einer "de novo" und einer Myelodysplasie-assoziierten AML.
Als endgültig kann die dritte Ausgabe der WHO-Klassifikation (26) nicht angesehen werden, aber sie stellt eine robuste Basis für zukünftige Entwicklungen dar. Viele der größeren Gruppen - wie zum Beispiel das diffuse großzellige B-Zell-Lymphom - sind eindeutig heterogen in ihrem klinischen Bild und in ihrem Ansprechen auf eine Behandlung. In der Zukunft werden diese Gruppen anhand zellulärer und molekularer Kriterien weiter unterteilt werden. Gegenwärtig besteht jedoch noch kein Konsens, wie das geschehen soll.
Die vierte Ausgabe der WHO Classification of Tumours of the Haematopoietic and Lymphoid Tissues (9) (Abbildung 13) wurde 2008 veröffentlicht und enthält ca. 30 neue Diagnoseentitäten, von denen viele mittels molekularer oder cytogenetischer Kriterien unterschieden werden. Sie wurde für vorliegende Aktualisierung der dritten Ausgabe der ICD-O berücksichtigt, neue Begriffe und Schlüsselnummern wurden in das systematische und das alphabetische Verzeichnis aufgenommen.
Die nun folgende Abbildung 13 ist sehr komplex und daher nicht barrierefrei.
ICD-O-3 (2003) | WHO-Bezeichnung |
---|---|
Myeloproliferative Neoplasien | |
* Diese Neoplasien werden der Leukämie oder dem Lymphom zugeordnet, dem sie entsprechen und mit dem jeweiligen ICD-O-Morphologieschlüssel kodiert. |
|
9964/3 | Chronische Eosinophilen-Leukämie o.n.A. |
9875/3 | Chronische myeloische Leukämie, BCR-ABL1 positiv |
9963/3 | Chronische Neutrophilen-Leukämie |
9962/3 | Essentielle Thrombozythämie |
9740/1 | Extrakutanes Mastozytom |
9740/1 | Kutanes Mastozytom |
9742/3 | Mastzell-Leukämie |
9740/3 | Mastzellsarkom |
9975/3 | Myeloproliferative Neoplasie, nicht klassifizierbar |
9950/3 | Polycythaemia vera |
9961/3 | Primäre Myelofibrose |
9740/1 | Solitäres Mastozytom der Haut |
9741/3 | Systemische Mastozytose |
Myeloische und lymphatische Neoplasien mit Eosinophilie und PDGFRA-, PDGFRB- oder FGFR1-Abnormalitäten | |
9966/3 | Myeloische Neoplasien mit PDGFRB-Rearrangement |
9967/3 | Myeloische und lymphatische Neoplasien mit FGFR1-Abnormalitäten |
9965/3 | Myeloische und lymphatische Neoplasien mit PDGFRA-Rearrangement |
Myelodysplastische/myeloproliferative Neoplasien | |
9876/3 | Atypische chronische myeloische Leukämie, BCR-ABL1 negativ |
9945/3 | Chronische myelomonozytäre Leukämie |
9946/3 | Juvenile myelomonozytäre Leukämie |
9975/3 | Myelodysplastisch/myeloproliferative Neoplasie, nicht klassifizierbar |
9982/3 | Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten |
Myelodysplastische Syndrome | |
9989/3 | Myelodysplastisches Syndrom, nicht klassifizierbar |
9986/3 | Myelodysplastisches Syndrom mit isolierter del(5q) |
9980/3 | Refraktäre Anämie |
9983/3 | Refraktäre Anämie mit Blastenüberschuss |
9982/3 | Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten |
9991/3 | Refraktäre Neutropenie |
9992/3 | Refraktäre Thrombozytopenie |
9985/3 | Refraktäre Zytopenie (myelodysplastisches Syndrom) im Kindesalter |
9985/3 | Refraktäre Zytopenie mit Mehrlinien-Dysplasie |
Akute myeloische Leukämie (AML) und verwandte Vorläufer-Neoplasien | |
unbesetzt | AML mit wiederkehrenden genetischen Abnormalitäten |
9911/3 |
AML (megakaryoblastisch) mit t(1;22)(p13;q13); RBM15-MKL1
|
9871/3 |
AML mit inv(16)(p13.1;q22) oder t(16;16)(p13.1;q22);
CBFB-MYH11
|
9869/3 |
AML mit inv(3)(q21q26.2) oder t(3;3)(q21;q26.2); RPN1-EVI1
|
9896/3 |
AML mit t(8;21)t(q22;q22); RUNX1-RUNX1T1
|
9897/3 |
AML mit t(9;11)(p22;q23); MLLT3-MLL
|
9866/3 |
Akute Promyelozytenleukämie (AML mit t(15,17)(q22;q12),
PML/RARA)
|
9865/3 |
AML mit t(6,9)(p23;q34) DEK-NUP214
|
9895/3 | AML mit Myelodysplasie-ähnlichen Veränderungen |
9920/3 | Therapiebedingte myeloische Neoplasien |
9861/3 | Akute myeloische Leukämie (AML), o.n.A. |
9870/3 |
Akute Basophilenleukämie
|
9840/3 |
Akute Erythroleukämie
|
9872/3 |
Akute gering differenzierte myeloische Leukämie
|
9910/3 |
Akute Megakaryoblastenleukämie
|
9891/3 |
Akute monoblastische und monozytische Leukämie
|
9874/3 |
Akute myeloische Leukämie mit Ausreifung
|
9873/3 |
Akute myeloische Leukämie ohne Ausreifung
|
9867/3 |
Akute myelomonozytäre Leukämie
|
9931/3 |
Akute Panmyelose mit Myelofibrose
|
9930/3 | Myelosarkom |
unbesetzt | Myeloische Proliferation in Verbindung mit Down-Syndrom |
9898/3 |
Myeloische Leukämie assoziiert mit Down-Syndrom
|
9898/1 |
Transiente abnorme Myelopoese
|
9727/3 | Blastische plasmazytoide Neoplasie der dendritischen Zellen |
Akute Leukämien unklarer Linienzugehörigkeit | |
9806/3 | Akute gemischt-phänotypische Leukämie mit t(9,22)(q34;q11.2); BCR-ABL1 |
9807/3 | Akute gemischt-phänotypische Leukämie mit t(v;11q23); MLL rearranged |
9808/3 | Akute gemischt-phänotypische Leukämie, B/myeloisch, o.n.A. |
9809/3 | Akute gemischt-phänotypische Leukämie, T/myeloisch, o.n.A. |
9801/3 | Akute undifferenzierte Leukämie |
Kein Kode | Natürliche-Killer(NK)-Zell-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom |
Lymphatische Vorläufer-Neoplasien | |
9815/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit Hyperdiploidie |
9816/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit Hypodiploidie (Hypodiploid-ALL) |
9812/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit t(9,22)(q34;q11.2); BCR-ABL1 |
9818/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit t(1,19)(q23;p13.3); E2A-PBX1 (TCF3-PBX1) |
9817/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit t(5,14)(q31;q32); IL3-IGH |
9813/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit t(v;11q23); MLL rearranged |
9814/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit t(12,21)(p13;q22); TEL-AML1 (ETV6-RUNX1) |
Kein Kode | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom mit wiederkehrenden genetischen Abnormalitäten |
9811/3 | B-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom, o.n.A. |
9837/3 | T-lymphoblastische/s Leukämie/Lymphom |
Reifzellige B-Zell-Neoplasien | |
9737/3 | ALK-positives großzelliges B-Zell-Lymphom |
9687/3 | Burkitt-Lymphom |
9680/3 | B-Zell-Lymphom, nicht klassifizierbar, mit Eigenschaften zwischen denen eines diffus großzelligen B-Zell-Lymphoms und eines Burkitt-Lymphoms |
9596/3 | B-Zell-Lymphom, nicht klassifizierbar, mit Eigenschaften zwischen denen eines diffus großzelligen B-Zell-Lymphoms und eines klassischen Hodgkin-Lymphoms |
9823/3 | Chronische lymphozytische Leukämie/kleinzelliges lymphozytisches Lymphom |
9680/3 | Diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL), o.n.A. |
9699/3 | Extranodales Marginalzonen-Lymphom des mukosa-assoziierten lymphatischen Gewebes (MALT-Lymphom) |
9734/3 | Extraossäres Plasmozytom |
9690/3 | Follikuläres Lymphom |
9738/3 | Großzelliges B-Zell-Lymphom bei HHV8-assoziierter multizentrischer Castleman-Krankheit |
9940/3 | Haarzell-Leukämie |
9712/3 | Intravaskuläres großzelliges B-Zell-Lymphom |
9766/1 | Lymphomatoide Granulomatose |
9671/3 | Lymphoplasmozytisches Lymphom |
9673/3 | Mantelzell-Lymphom |
9689/3 | Marginalzonen-B-Zell-Lymphom der Milz |
9699/3 | Nodales Marginalzonen-Lymphom |
9591/3 | Non-Hodgkin-Lymphom, o.n.A; Splenische/s B-Zell-Lymphom/-Leukämie, nicht klassifizierbar |
9735/3 | Plasmablastisches Lymphom |
9732/3 | Plasmazellmyelom |
9597/3 | Primär kutanes Follikelzentrumslymphom |
9679/3 | Primäres mediastinales (thymisches) großzelliges B-Zell-Lymphom |
9678/3 | Primary effusion Lymphoma |
9833/3 | Prolymphozytenleukämie vom B-Zell-Typ |
9762/3 | Schwerketten-Krankheit (alpha, gamma, mu) |
9731/3 | Solitäres Plasmozytom des Knochens |
9688/3 | T-Zell-reiches/histiozytenreiches großzelliges B-Zell-Lymphom |
9761/3 | Waldenström-Makroglobulinämie |
Reifzellige T- und NK-Zell-Neoplasien | |
9827/3 | Adulte(s) T-Zell-Leukämie/Lymphom (HTLV-1-positiv) |
9948/3 | Aggressive NK-Zell-Leukämie |
9702/3 | Anaplastisches großzelliges Lymphom, ALK-negativ |
9714/3 | Anaplastisches großzelliges Lymphom, ALK-positiv |
9705/3 | Angioimmunoblastisches T-Zell-Lymphom |
9831/3 | Chronische lymphoproliferative Krankheit der NK-Zellen |
9717/3 | Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom |
9719/3 | Extranodales NK-/T-Zell-Lymphom vom nasalen Typ |
9716/3 | Hepatosplenisches T-Zell-Lymphom |
9725/3 | Hydroa-vacciniform-artiges Lymphom |
9831/3 | Lymphozytische T-Zell-Leukämie vom grobgranulären Typ |
9718/1 | Lymphomatoide Papulose |
9700/3 | Mycosis fungoides |
9702/3 | Peripheres T-Zell-Lymphom, o.n.A. |
9718/3 | Primär kutanes anaplastisches großzelliges Lymphom |
9726/3 | Primär kutanes Gamma-Delta-T-Zell-Lymphom |
9709/3 | Primär kutanes T-Zell-Lymphom |
9834/3 | Prolymphozytenleukämie vom T-Zell-Typ |
9701/3 | Sézary-Syndrom |
9708/3 | Subkutanes pannikulitisches T-Zell-Lymphom |
9724/3 | Systemische EBV-positive T-Zell-lymphoproliferative Erkrankung der Kindheit |
Hodgkin-Lymphome | |
9652/3 | Gemischtzelliges klassisches Hodgkin-Lymphom |
9650/3 | Klassisches Hodgkin-Lymphom |
9653/3 | Lymphozytenarmes klassisches Hodgkin-Lymphom |
9659/3 | Lymphozytenprädominantes noduläres Hodgkin-Lymphom |
9651/3 | Lymphozytenreiches klassisches Hodgkin-Lymphom |
9663/3 | Nodulär-sklerosierendes klassisches Hodgkin-Lymphom |
Histiozytäre und dendritische Zell-Neoplasien | |
Kein Kode | Disseminiertes juveniles Xanthogranulom |
9759/3 | Fibroblastischer retikulärer Zelltumor |
9758/3 | Follikuläres Dendriten-Zell-Sarkom |
9755/3 | Histiozytäres Sarkom |
9657/3 | Indeterminanter dendritischer Zelltumor |
9757/3 | Interdigitierender dendritischer Zelltumor |
9751/3 | Langerhans-Zell-Histiozytose |
9756/3 | Langerhans-Zell-Sarkom |
Lymphoproliferative Erkrankungen nach Transplantation | |
9971/1 | Infektiöse Mononukleose-ähnliche PTLD |
* | Klassisches Hodgkin-Lymphom vom Typ PTLD |
9971/3 | Lymphoproliferative Krankheit nach Transplantation |
* | Monomorphe PTLD (B- und T/NK-Zelltypen) |
9971/1 | Plasmozytäre Hyperplasie |
9971/3 | Polymorphe PTLD |
In der zweiten Ausgabe der ICD-O war es möglich, unter Verwendung von Begriffen aus sämtlichen gängigen Klassifikationen und auch unter Anwendung archaischer Begriffe zu verschlüsseln. Es war daher sehr schwierig, Datensätze zu vergleichen. Besonders kompliziert wurde es, wenn im gleichen Datensatz Begriffe aus unterschiedlichen Klassifikationen eingesetzt wurden. Die dritte Ausgabe der ICD-O enthält die Begriffe aus der WHO-Klassifikation als bevorzugte Bezeichnungen für maligne hämatologische Neoplasien. Termini aus älteren Systemen sind jedoch weiterhin enthalten, um eine Kodierung und Analyse auch alter Daten zu ermöglichen. In manchen Fällen ist das Synonym kein exaktes Äquivalent des bevorzugten WHO-Begriffes. Nach der Meinung von Experten auf diesem Gebiet gelangt aber auf diese Weise der Großteil der Fälle in die richtige Gruppe.
Die Kompatibilität zur ICD-10 wird durch verschiedene Abweichungen der dritten Ausgabe der ICD-O von der Struktur der WHO-Klassifikation der malignen hämatologischen Neoplasien erreicht. Der chronischen lymphatischen B-Zell-Leukämie und dem kleinzelligen lymphozytischen B-Zell-Lymphom wurden eigene Schüsselnummern zugewiesen. Es hat sich mittlerweile gezeigt, dass es sich um dieselbe Entität handelt und dass sie zu Auswertungszwecken zusammengefasst werden dürfen. Das gleiche gilt für das lymphoblastische Lymphom (lymphatisches Lymphom) und für die akute lymphoblastische Leukämie (akute lymphatische Leukämie).
Die Untersuchungen der Zellmarker haben die Hämatopathologie verändert. Sie stellen ein wichtiges Element mit hoher diagnostischer Genauigkeit dar. In der WHO-Klassifikation lässt sich die Abstammung der Neoplasie normalerweise ihrem Namen entnehmen. Beispielsweise gehört ein follikuläres Lymphom per definitionem zu den malignen Neoplasien der B-Zell-Reihe. Nur bei der lymphoblastischen Leukämie (lymphatische Leukämie) und beim lymphoblastischen Lymphom (lymphatisches Lymphom) gilt diese Regel nicht. Hier muss die Abstammung (B-Zell oder T-Zell) spezifiziert werden. In der zweiten Ausgabe der ICD-O war dies nicht der Fall, da viele Termini bezüglich der Abstammung nicht eindeutig waren. In der dritten Ausgabe ist die Zugehörigkeit zur Zelllinie in den vierstelligen Kode eingearbeitet, so dass hierfür keine sechste Stelle benötigt wird.
Die Krebsregister sollten dennoch die zusätzliche Stelle verwenden, um die Fälle zu kennzeichnen, in denen die Diagnose durch immunophänotypische Befunde gestützt wird.
Die zytogenetischen und molekularbiologischen Untersuchungen sind Schlüsseltechnologien in der Diagnostik zahlreicher maligner hämatologischer Neoplasien und ihre Bedeutung nimmt noch zu. Die Einführung einer Subklassifikation der akuten myeloischen Leukämie auf der Basis zytogenetischer Veränderungen in dieser Ausgabe der ICD-O war ein wichtiger Schritt. Solche Befunde sind vorrangig zur Klassifikation zu verwenden und andere, wie beispielsweise die Morphologie nach FAB, treten dann in den Hintergrund.